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Serie: HiFi For Future – Wie nachhaltig ist Musikgenuss?

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Green Fidelity – Die Ökobilanzen von Streaming, CD und Vinyl im Vergleich

von Alex Röser

Ressourcenintensive CD- und Vinyl-Produktion oder energiefressendes Streaming – Welches Medium verzeichnet die bessere Ökobilanz?

Kaum ein Thema bewegt dieser Tage so sehr wie die Folgen des durch den Menschen mit verursachten Klimawandels. Weltweit demonstrieren regelmäßig Hunderttausende für einen nachhaltigen Paradigmenwechsel in Politik und Wirtschaft. Angeführt von der Jugendbewegung Fridays For Future und Extinction Rebellion werden mahnende Appelle laut, fossile Stromgewinnung umgehend durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Gleichzeitig sind wir als Endkunden angehalten unseren Verbrauch nicht recyclebarer Kunststoffe zum Wohle der Umwelt zu minimieren. Jeder Bereich des täglichen Lebens, vom Haushalt bis zur Mobilität, muss laut einschlägiger Berichterstattung und einem Großteil der Wissenschaft ein Umdenken erfahren, um eine drohende Umweltkatastrophe noch rechtzeitig abwenden zu können. Das soeben angebrochene Jahrzehnt wird entscheidend sein – darin sind sich die meisten Experten sicher. Und auch die Musikbranche und somit auch die HiFi-Szene muss sich ihrer Verantwortung bewusst stellen. Shooting-Star und Grammy-Gewinnerin Billie Eilish ging im vergangenen Jahr mit gutem Beispiel voran und bestritt eine Welttournee „Green As Possible“, zu welcher unter anderem ihre Fans angehalten waren, ihre eigenen Wasserflaschen mitzubringen. Außerdem wurden über die gesamte Stadiontour hinweg keine Plastikstrohhalme ausgegeben und Eilishs zum größten Teil jugendliches Publikum konnte sich vor den Konzerten in so genannten „Billie Eilish Eco Villages“ über die Folgen des Klimawandels und die zentrale Bedeutung des Umweltschutzes informieren. Doch wie steht es um uns, die Musikliebhaber und -liebhaberinnen, welche teils üppige Bibliotheken physischer Tonträger pflegen oder bequem die gesamte Bandbreite musikalischer Erzeugnisse von Streamingservern abrufen? Wie können wir ökologisch nachhaltig Musik hören? Und welches Medium ist das „grünste“?

Streaming

Leider sind all diese Fragen nicht absolut eindeutig zu beantworten. Jedoch lohnt es sich im Sinne der Umwelt allemal, die eigenen Hörgewohnheiten sowie das Konsumverhalten auf dem Musikmarkt zu analysieren, sich der Nachhaltigkeit von CD, Vinyl und Streaming bewusst zu sein und mit entsprechender Weitsicht zu agieren. Hierfür wollen wir allem voran mit dem landläufigen Trugschluss aufräumen, dass Streaming allein aus dem Grund, dass keine Kunststoffe zur Herstellung physischer Tonträger verwendet werden, die umweltfreundlichste Variante des Musikhörens darstellt. Denn dafür ist der Stromverbrauch der Server, welche die gewaltigen Bibliotheken zum Streaming anbieten, immens. Dabei beziehen die großen Anbieter Spotify und Co. ihre Energie noch zu großen Teilen aus fossilen Rohstoffen, wie ein Greenpeace-Report von 2017 offenlegt. So deckt beispielsweise Google, auf deren Servern Spotify seine Datenbanken lagert, noch fast die Hälfte seines Energiebedarfs durch Nuklear-, Gas- und Kohlestrom. Greenpeace versieht das schwedische Streaming-Portal daher mit der Schulnote 4. Noch schlechter schneidet SoundCloud ab. Die Plattform bezieht nur 17 % seines Bedarfs aus erneuerbaren Energien. Bewertet wurden von Greenpeace übrigens auch Faktoren wie Transparenz und Absichtserklärungen. Kaum ein Anbieter lässt sich bei der genauen Aufschlüsselungen seiner Energieversorgung auf die Finger schauen oder erklärte öffentlich, auf erneuerbare Energien umsatteln zu wollen. Auf unsere Presseanfrage an Spotify zum Thema Nachhaltigkeit beim Musikgenuss bekamen wir die Antwort, „dass zu ihrer Anfrage derzeit kein Statement zur Verfügung gestellt werden kann.“ Eine Vorbildfunktion nimmt laut Chefautor Gary Cook und seinem Team Tech-Gigant Apple ein. Das Unternehmen, welches auch iTunes und Apple Music betreibt, bezieht immerhin 83 % seines Stroms aus grünen Energiequellen wie Solar- oder Windkraft. Vor allem mit Blick auf die stetig wachsende Popularität des Online-Streamings, welches 2018 laut dem Bundesverband Musikindustrie (BVMI) sogar die CD als gefragtestes Medium ablöste, sind diese Zahlen noch unzureichend. Anderseits liegt hier auch eine Teilverantwortung bei den Nutzern und Nutzerinnen diverser Streaming-Anbieter. Immerhin werden mancherorts nahezu alle Produktionen der Musikgeschichte kostenfrei angeboten. Hier wenigstens einen monatlichen Abschlag von knapp zehn Euro zu entrichten, kommt – zwar minimal aber immerhin – Künstlern und auch der Umwelt zugute.

CD

Allerdings kann es natürlich nicht als ökologisch nachhaltig bezeichnet werden, wenn mit Erscheinen des neuen Albums der Lieblingsband sofort die CD im Amazon-Warenkorb landet, welche dann von einem Zustelldienst ausgeliefert und zuhause einmal angehört wird, nur um festzustellen, dass besagte Band ihre besten Jahre hinter sich hat. Im Sinne der Umwelt lohnt sich vor dem Kauf einer CD oder Schallplatte also durchaus, mal auf einer Streaming-Plattform reinzuhören. Hat besagtes Album das Potenzial, für die nächsten Tage in Schleife zu spielen, so ist der Kauf eines physischen Tonträgers unbedingt empfehlenswert. Aber allein aufgrund der für ihre Herstellung verwendeten Rohstoffe hat die CD als bloßes Sammlerstück ausgedient. Denn bei Polycarbonat handelt es sich um einen hochwertigen und verhältnismäßig teuren Kunststoff. Daher empfiehlt das Umweltbundesamt auch eine wertgerechte Entsorgung dieser Datenträger. Sollten Sie beschädigte oder nicht länger benötigte CDs besitzen, können Sie über geeignete Rücknahmesysteme einen nachhaltigen Beitrag zum Umweltschutz leisten, da sich CDs und DVDs ohne großen Aufwand recyceln lassen. Das aufbereitete Polycarbonat kann zum Beispiel in der Medizintechnik, der Automobil- sowie der Computerindustrie wiederverwendet werden. Das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern hilft auch bei der Einsparung kostbaren Erdöls. Sollten Sie zu sehr an Ihrer Sammlung hängen, so ist es selbstverständlich, dass nur durch einen pfleglichen Umgang die Langlebigkeit einer CD ausgekostet werden kann. Hersteller versprechen hier eine Lebensdauer von 80 bis 100 Jahren – ein angesichts der kaum anzutreffenden idealen Lagerbedingungen von CDs eher utopischer Wert. CDs leben am längsten, werden sie sorgfältig lichtgeschützt und bei einer Temperatur von konstant 25° Celsius aufbewahrt. Auch die Luftfeuchtigkeit ist ein essenzieller Faktor bei der Archivierung. Idealerweise sollte diese zwischen 40 und 60 Prozent liegen, um ein Korrodieren der Speicherschicht zu verhindern. In den letzten Jahren wurden vermehrt Kassandrarufe laut, eine CD würde nur leidlich älter als 30 Jahre. Dies gilt es dieser Tage zu beobachten, sind doch ihre ältesten Vertreter seit den 1980er Jahren im Umlauf.

Vinyl

Anders verhält sich das natürlich bei Vinyl-Schallplatten, deren ältesten Auflagen bereits im 19. Jahrhundert serienmäßig in Auftrag gingen. Wer in den letzten Jahren im Zuge des Vinyl-Hypes angestaubte Platten aus der Versenkung holte, wird bestätigen, dass die schwarzen Scheiben auch nach einem halben Jahrhundert noch tadellos aufspielen können. Natürlich sind auch hier sorgfältige Aufbewahrung und regelmäßige Pflege Grundvoraussetzungen für nachhaltiges Hörvergnügen. Selbstverständlich wird jedoch auch bei der Herstellung von Schallplatten kostbares Erdöl benötigt. Jedoch schneidet Vinyl im Vergleich zu Streaming und CD aus folgenden zwei Gründen dennoch deutlich „grüner“ ab: Zum einen ist der Anteil von Neupressungen im Verhältnis zu Platten aus zweiter oder dritter Hand deutlich geringer. Zwar wird allerorts die Rückkehr des Vinyls beschworen, Neuauflagen werden jedoch in durchaus überschaubaren Stückzahlen produziert und können noch lange nicht mit den Auflagen neu produzierter CDs mithalten. Laut dem BVMI machten Vinylschallplatten im Jahr 2018 nur knapp 10 Prozent des Jahresumsatzes verkaufter physischer Tonträger aus, CDs hingegen noch immer fast 85 Prozent. Ein anderes Thema ist natürlich auch die nach wie vor gängige Praxis der Herstellung von Pressmatrizen mittels Galvanik, was einen nicht zu unterschätzenden Einsatz von Chemikalien mit sich bringt. Ganz zu schweigen vom Energiebedarf eines Presswerks. Hier sollte man die nächsten Jahre das neu aufkeimende Format der HD Vinyl von Rebeat Innovation um den Österreicher Günter Loibl im Auge behalten, welches mithilfe von Keramikstampern gepresst wird, die per Laser geschnitten werden. Bis zur finalen Marktreife werden sicherlich noch ein paar Monate vergehen, aber bei Erfolg wird sich das Verfahren der Plattenproduktion drastisch zugunsten der Umweltfreundlichkeit verändern. Auch bei Polyvinylchlorid gilt aber: Bitte die heimische Kollektion nach ausgedienten Platten durchforsten, um sie gegebenenfalls, falls verschenken nicht mehr möglich ist – wenn auch schweren Herzens – fachgerecht von einem Wertstoffhof recyceln zu lassen.

Weiter zu Folge 1: Strategien für ein neues HiFi – Herstellerstatements von Dynaudio, SoReal-Audio, Pro-Ject, Lyravox und WBT

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Dieser Artikel erschien erstmalig in AUDIO TEST Ausgabe 2/2020.

Bildquellen:

  • Claudia Sommer, Audio Physic: Audio Physic
  • Einstiegsbild HiFi For Future: by Free To Use Sounds on Unsplash