Test: Cyrus Classic Amp – Stereovollverstärker mit Phono MM & DAC

Alleinstellungsmerkmal: Verweigerung. Das könnte man dem britischen HiFi-Brand Cyrus unterstellen, wenn es um Produktdesign geht. Dass dies einen klanglichen Mehrwert erzielen kann, hat der Hersteller in der Vergangenheit schon wiederholt eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Der Anachronist

Getreu dem Credo „das Auge hört mit“ könnte man meinen, die äußerliche Aufmachung hochfideler elektroakustischer Geräte käme deren klanglichen Qualitäten in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend ebenbürtig. Freilich gehen Lautsprecher hier schon seit langem strammen Schrittes voran. Denken wir etwa an die Nautilus von B&W, die Cabasse Pearl oder Bang & Olufsen, um nur ein paar Paradebeispiele in puncto Design zu nennen. Aber auch Zuspieler und Verstärkereinheiten kommen heute stets in elaborierten, wenngleich nicht unbedingt extravaganten Outfits daher, um dem zeitgemäßen Anspruch an Ansehnlichkeit gerecht zu werden.

Vorbei sind die Zeiten der unscheinbaren schwarzen Blechkisten mit wackeligen Drucktasten. Denn auch auf dem HiFi-Parkett gilt schon lange: „Kleider machen Leute.“ Wiedererkennungswert und Alleinstellungsmerkmale sind heute kaum weniger wichtig als Klang- und Verarbeitungsqualität. Man muss eben herausstechen aus der Masse, um Aufmerksamkeit zu generieren. Das gilt in dieser Branche wie in allen anderen. Und dabei gilt: coolness sells. Ob bei der Formensprache der Gehäusekonstruktion oder der Aufmachung des User Interfaces – Eleganz und schicke Simplizität sind im HiFi-Bereich die aktuellen Maximen bei der Produktgestaltung. Spezielle Features wie die aktuell zurückkehrenden VU-Meter in analoger oder digitaler Form, hinter Bullaugen ausgestellte Röhren oder austauschbare Seitenpaneele gehören da zu den Trendsettern dieser Tage.

Das Design des Cyrus Classic Amp hat 90er-Retrocharme, doch im Inneren arbeitet die moderne HiFi-Technik der 2020er.

Bewusster Anachronismus

Die britische HiFi-Marke Cyrus Audio beweist jedoch neben einem stets ausgezeichneten Preis-Leistungsverhältnis, dass man sich in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts auch durch einen gewissen Anachronismus hervortun kann. Indem man sich dem Wetteifern mit einer in ihrem Bestreben nach individuellem Auftreten, letztlich homogen daherkommenden Konkurrenz konsequent entgegenstellt. Allein in der Wahl des Gehäuseformats gibt sich der Hersteller seit jeher resolut und verzichtet strikt auf die Ausgestaltung in handelsüblicher Rackbreite. Geräte wie der Vollverstärker Lyric Stealth (AUDIO TEST Ausgabe 02/2016) stellen da eine absolute Ausnahme dar. Etwa die Hälfte der industrienormierten 19 Zoll Breite ist bei Cyrus Standard. Zusammen mit den markant rustikal – und beinahe antischick – gestalteten Gehäusefronten mit einem Hauch 1990er Autoradio ergibt das den für die Briten typischen Look.

Dass der eigenwillige Cyrus-Chic aber absolut nicht auf die klanglichen Kompetenzen der Geräte abfärbt, haben die Briten in der AUDIO TEST wiederholt unter Beweis gestellt. So konnte sich der Hersteller in den vergangenen dreizehn Tests einen Ergebnisschnitt von stolzen 89 Prozent erarbeiten. Absoluter Spitzenreiter war dabei übrigens das Duett aus CD-Player CDi-XR und Vollverstärker i9-XR, dass dem Kollegen Thomas Kirsche ein referenztaugliches Ergebnis von 94 Prozent abzuringen vermochte. Auch diese sind natürlich im Cyrus-Stil gehalten. Aber es ist ja eigentlich einleuchtend. Denn was an Kapazitäten und Ressourcen bei der Gestaltung des simplen Outfits gespart wird, kann an klangrelevanter Stelle reinvestiert werden. Außerdem garantiert der Verzicht auf hochauflösende Farbdisplays und verspielte Beleuchtungselemente obendrein einen reinen, unverfälschten Signalfluss und somit eine bestmögliche Klangperformance.

Exzellent verarbeitet und auf jede Anwendung gefasst – sowohl digital als auch analog weiß sich der Classic Amp gut in Szene zu setzen. Auch Vinyl-Fans kommen auf ihre Kosten

Cyrus Classic Amp

Auch der Cyrus Classic Amp ist folglich konsequent ganz in diesem Stile ausgeführt. Die markante gelbe Flüssigkristallanzeige erinnert gemeinsam mit den pragmatischen Bedienelementen an die frühen Anfänge des Digitalzeitalters und würden einen Laien, dem der Name Cyrus unbekannt ist, nicht vermuten lassen, dass sich hinter dem – aus der Zeit gefallen scheinendem – Gehäuse doch absolut zeitgemäße Technik verbirgt.

So ist der Classic Amp von Cyrus als robuster Stereo-Vollverstärker ausgeführt, der im Vergleich zu seinen Vorgängermodellen etwa durch eine Überarbeitung des Gehäuses nochmal deutlich stabiler daherkommt. Hinter dem massiven Korpus versteckt sich ein leistungsstarker Amp, der Lautsprecher von 4 Ohm Widerstand mit bis zu 91 Watt (W) Power zu versorgen weiß. Und das mit einer beachtlich geringen harmonischen Verzerrung von weniger als 0,002 %. Analog weiß der Cyrus Amp dabei neben den vier obligatorischen analogen Cinch-Inputs auch mit einem Moving Magnet-Plattenspieler umzugehen. Dafür hat Cyrus dem Classic Amp eine dezidierte Vorstufe spendiert, die mit einer Eingangssensibilität von 2,3 Millivolt und einer Eingangsimpedanz von 47 Kiloohm für die allermeisten Vinylsysteme kompatibel ist und das eingespeiste Signal um 80 Dezibel (dB) verstärkt.

Für die digitalen Anwendungsbereiche ist der Classic Amp mit dem bereits preisgekrönten QXR DAC ausgestattet, der an insgesamt zwei optischen und zwei koaxialen Eingängen eine Signalverarbeitung mit 192 Kilohertz (kHz) Abtastrate ermöglicht. Leider jedoch nur im PCM-Format, was wir etwas verwunderlich finden. Jedoch auch nicht weiter tragisch, wenn man sich als geneigter Kunde rechtzeitig darauf einstellen kann, auf DSD-Files zu verzichten bzw. diese mit einem externen DAC wandelt und dann analog einspeist.

Aufbau höchster Güte

Die gesamte Rückseite des Gehäuses stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass Cyrus auch beim Classic Amp Verstärker die höchsten Ansprüche an sich selbst stellt. Alle Anschlüsse sind von höchster Qualität gefertigt und sitzen bombenfest im Panel. Sofort fällt hier ein fünfpoliger Anschluss ins Auge. Dieser dient dem optionalen PSX-R Netzteils. Dieses Netzteil verspricht eine stabilere und rauschärmere Performance direkt für die Analogsektion des Vorverstärkers. Freilich lässt sich der Classic Amp auch über einen herkömmlichen Netzstecker mit Strom beliefern.

Dass die Briten es mit ihrem Qualitätsanspruch ernst meinen, wird uns auch beim Blick auf die Lautsprecheranschlüsse gewahr. Denn die hier eingesetzten Buchsen für Bananenstecker sind am linken und am rechten Ende der Rückseite montiert. Somit sind beide Kanäle bereits räumlich bestmöglich voneinander getrennt. Ein Blick unter die Haube bestätigt diesen Eindruck. Die Schaltungstopologie folgt beinahe perfektionistischer Symmetrie, wobei der Ringkerntrafo des Netzteils zentriert und gut abgeschirmt, so weit wie möglich von den Verstärkereinheiten untergebracht ist.

Etwas bedauerlich finden wir, dass dem Classic Amp für die Kopplung mit Kopfhörern lediglich eine 3,5 Millimeter (mm) Klinken-Buchse spendiert wurde. Denn bei Heimverstärkern kommen meist Kopfhörer mit 6,3 Millimeter Klinke zum Einsatz, die muss wir dann auf 3,5 Millimeter adaptieren. Der geneigte HiFi-Nutzer wird sich ebenfalls zu behelfen wissen.

Usability

Die überschaubare Aufmachung des Verstärkers lässt bereits Aufschlüsse darüber zu, wie sich der Classic Amp am Gerät selbst bedienen lässt: Über fleißiges Drehen und Klicken durch die wiederum gut organisierte Menüstruktur. Wenn man sich seit ein paar Jahren mit Elektronik dieser Art auseinandersetzt, geht die Art und Weise, wie sich der Classic Amp bedienen lässt schnell in Fleisch und Blut über. Cyrus offeriert uns hier einige nützliche Features, wie das Umbenennen der einzelnen Signalquellen oder das Einstellen eines Auto-Standbys.

Offen für Neues – die funktionsreiche Fernbedienung des Cyrus Classic Amp ist mit einer Lernfunktion ausgestattet

Außerdem kann zwischen drei verschiedenen Display-Modi gewählt werden. „Small Input“ zeigt uns dabei in drei Zeilen Lautstärke, ausgewählte Quelle und im Falle einer digitalen Zuspielung deren Sampling Rate an. „Large Input“ zeigt in zwei Zeilen die Lautstärke und die Quelle an, während „Large Volume“ lediglich die Lautstärke kommuniziert. Besonders avanciert finden wir die Möglichkeit, via „Input Sensitivity Offset“ die relative Sensibilität einzelner Kanäle individuell in Dezibelschritten anzupassen. Somit können problemlos Hochpegelkomponenten wie etwa Kassettendecks ausgeglichen werden.

Performance

Für den praktischen Teil dieser Besprechung bemühen wir zunächst den CXN Silver von Cambridge Audio als Zuspieler, der via Lichtleitung mit dem Classic Amp verbunden ist – British Teamwork also. Zudem gesellen sich zwei Standlautsprecher A 65 von Canton. Deren ausführlichen Test finden Sie übrigens auch in diesem Heft. Musikalisch vertrauen wir ebenfalls auf Support von der Insel. Mit Radiohead konsultieren wir wohl eine der beiden britischen Bands der Jahrtausendwende überhaupt. Das Album „Kid A“ soll es sein, welches im Jahr 2000 auf XL Recordings erschien.

Die Platte beginnt mit dem ikonischen Titel „Everything In It’s Right Place“. Zu Beginn des Songs schiebt eine subtile Kick das markante Synthbass-Arpeggio unter mystisch fragmentierte Vocal-Loops. Und der Name des Liedes ist hier eindeutig Programm, was die spektrale Darstellung der Musik durch den Classic Amp angeht. Alles ist an seinem Platz. Fein abgestimmt und bestens ausgeleuchtet. Die Bässe sind voller analoger Wärme und sehr sonor, ohne jedoch verwaschen oder überzeichnet etwa Anteile der sehr detailreich gezeichneten Vocals zu maskieren. Wenn der Synth schließlich den Filter aufreißt, tritt das warme Timbre der ineinander modulierten Sägezahn-Oszillatoren auf sehr lebendige Weise zu Tage.

Mit Fingerspitzengefühl

Auch beim Titel „In Limbo“ zeichnet sich der Amp durch ein hervorragendes Fingerspitzengefühl aus. Die Drums sind mit einer eigenen akustischen Architektur versehen, die sich wunderbar von der Stimme Thom Yorkes abhebt. Dazwischen betten sich Gitarre, Bass und Wurlitzer fein säuberlich und ergeben einen fulminanten Mix, der durch den Cyrus Classic Amp mit viel Lebendigkeit interpretiert wird.

Aber auch in wesentlich luftigeren – da unkomprimierten – musikalischen Gefilden bewegt sich der Vollverstärker von Cyrus Audio durchaus leichtfüßig und gleichzeitig selbstsicher. Etwa das Streichquartett Nr. 1 „Kreutzersonate“ von Leoš Janáček klingt wunderbar vital und spritzig. Die Obertonstrukturen der einzelnen Stimmen erschallen reichhaltig und fügen sich ausgezeichnet zu einem sehr plastischen Höreindruck zusammen. Gerade die fein gesetzten Collagen aus temperamentvollen Arpeggi von Viola und Cello über elegischen Pianissimi artikuliert der Cyrus Classic Amp sehr gefühlvoll und mit Liebe zum Detail.

Aber der Amp kann auch anders. Etwa beim Titel „Woo“ des US-amerikanischen Wahlberliners Alex Wilcox gibt der Prüfling ordentlich Feuer. Die schnelle Techno-Nummer dampft uns ordentlich ein und auf „Woo“ folgt ein Wow aus unseren Mündern.

Es lässt sich abschließend festhalten, dass Cyrus mit dem Classic Amp mal wieder ein sehr gelungenes Statement im Bereich Vollverstärker setzt. Und dass elaboriertes Produktdesign nicht immer eine zwingende Voraussetzung für erstklassige Musikalität sein muss. Well done! ■ Text: Artur Evers

Cyrus Classic AMP: Preis und Verfügbarkeit

Den Cyrus Classic AMP Vollverstärker gibt es zum Preis von 2.395 Euro (UVP) im autorisierten Fachhandel zu kaufen. Vertrieben und vermarketet werden die Cyrus Audio Produkte in Deutschland von Bellevue Audio.

Webseite: www.bellevueaudio.de // www.cyrusaudio.com

Ausstattung Cyrus Classic Amp

Allgemein
GeräteklasseStereovollverstärker
HerstellerCyrus Audio
ModellClassic AMP
Preis (UVP)2.395 Euro
PreiskategorieOberklasse
Maße (B/H/T)21,5 x 7,5 x 36,5 cm
Gewicht6,7 kg
Informationenwww.bellevueaudio.de
Technische Daten*
ArbeitsweiseTransistor
Leistung91 W (6Ohm)
StromversorgungStand-by: < 0,5 W
Eingänge4 x Cinch, 1 x Phono, 2x Koaxial, 2 x Optisch
Ausgänge2 x Paar-Bananenstecker, 1 x 3,5 mm Klinke (Kopfhörer), 2 x Paar-Cinch (PreOut, Fixed Out)

*Herstellerangaben

Anmerkung: Dieser Testbericht erschien zuerst in AUDIO TEST Ausgabe 02/2023

▶ Lesen Sie hier: Test: Cyrus 6 DAC QXR – Vollverstärker mit DAC

AUDIO TEST Ausgabe 03/2024 HiFi Review kaufen Magazin

+++ Die neue AUDIO TEST Ausgabe ab 23. März 2024 im Handel oder ganz einfach und bequem nach Hause bestellen:www.heftkaufen.de/audio-test

Oder gleich ein Abo abschließen und das Heft pünktlich und direkt frei Haus liefern lassen:
www.heftkaufen.de/abo-audio-test +++

Test: Cyrus Classic Amp – Stereovollverstärker mit Phono MM & DAC
Fazit
Man mag vom Produktdesign des britischen Herstellers Cyrus halten, was man möchte – klingen können sie allemal! Und das durchaus erstklassig, wie das Unternehmen mit dem Classic Amp wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis stellt. Alle Ressourcen sind hier an richtiger Stelle investiert: dem Sound. Kraftvoll und gleichzeitig feinfühlig geht der Amp vor und präsentiert den ehrlichen Sound, den wir von Cyrus kennen und lieben.
Wiedergabequalität
93
Ausstattung/Verarbeitung
85
Benutzerfreundlichkeit
90
Preis/Leistung
80
Leserwertung44 Bewertungen
96
Vorteile
gute Verarbeitung
toller Sound
Nachteile
keine
90
Gesamtergebnis