Test: JBL L75ms – All-In-One Music System / Wireless-Lautsprecher

JBL legt gerade so einige Bestseller der Vergangenheit wieder auf. Dabei rückt das Unternehmen mit dem JBL L75ms schon um einiges vom Original ab. Kein Grund, den Boliden nicht trotzdem auf den Prüfstand zu holen.

Powerful Revival

Als in den 1970er Jahren die goldene Ära der HiFi-Kultur anbrach, war bereits ein halbes Jahrhundert vergangen, seitdem James B. Lansing (kurz JBL) in der Stadt der Träume, dem sonnigen Los Angeles mit der Herstellung von 6- und 8-Zoll-Treibern den Grundstein einer der erfolgreichsten Firmengeschichten der Branche legte. Nach kürzester Zeit brachte ihn das in Verbindung mit niemand Geringerem als Douglas Shearer, dem Leiter der Soundabteilung bei Metro Goldwyn Mayer, dem ikonischen Hollywood-Filmstudio mit dem Löwen. Dieser entwickelte seinerzeit gerade das so genannte Shearer-Horn.

Der Auftrag für die Fertigung der zusätzlich benötigten Treibereinheiten ging an die Lansing Manufacturing Company, aus welcher schließlich JBL herausgehen sollte. Die Frucht dieser Zusammenarbeit war das damals fortschrittlichste Soundsystem, welches je in einem Kino verbaut wurde. Es gewann letztlich sogar einen Acadamy Award in der Kategorie Wissenschaft und Technik. Und das im Jahr 1936! Welches HiFi-Unternehmen kann schon von sich behaupten, mal einen Oscar abgestaubt zu haben?

JBL L75ms Test
Die Fernbedienung ist von schicker Machart und dem Notwendigsten ausgestattet.

Nach dem Krieg wurde die Lansing Manufacturing Company von Altec aufgekauft, worauf hin Lansing selbst das Unternehmen verließ. Das daraufhin gegründete Unternehmen JBL sollte seine Laufbahn jedoch mit einem äußerst düsteren Kapitel starten. Denn nach nur drei Jahren geriet die junge Firma unter Lansings Direktion in solch arge wirtschaftliche Schwierigkeiten, dass James B. Lansing tragischerweise keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich selbst das Leben zu nehmen.

Wenn er gewusst hätte, dass nur wenige Generationen später sein Erbe nicht mehr wegzudenken ist aus der Audiowelt. Und das nicht nur im HiFi-Segment. Derzeit verkauft wohl kaum ein anderer Hersteller so viele kleine akkubetriebene Bluetooth-Lautsprecher wie JBL. Ganz zum Leidwesen der unbedarften Stadtbevölkerung möchte man manchmal meinen. JBL ist vor allem, ob dieser kleinen Krachmacher von so ausgesprochener Popularität, dass man manchmal Gefahr läuft, zu vergessen, das JBL in der „echten“ HiFi-Welt wichtige Akzente gesetzt hat.

Vor allem die ikonische L-Kollektion wirbelte damals ganz schön Staub auf. Der JBL L100 etablierte sich als richtiger Verkaufsschlager, sodass man sich nicht lange bitten ließ, das Kultgerät vor einigen Jahren nochmal neu aufzulegen. Genauso wie den L82. Beide Revivals, den L100 Classic und den L82 Classic hatten wir selbstverständlich auch direkt auf dem Prüfstand. Der L82 Classic wusste dabei sogar die Referenzklasse-Wertung zu knacken!

JBL stellt mit dem L75ms als ordentlichem Retro-Speaker auch einen MM-Phono-Eingang zur Verfügung. Dass das Gerät gleichzeitig durchaus mit der Zeit geht, stellen der Netzwerkanschluss und der HDMI-ARC unter Beweis.

JBL L75ms

Selbstverständlich wollen wir es uns daher nicht nehmen lassen, auch in unserer Spezialausgabe Retro-HiFi unseren Tribut zu zollen und haben deshalb ein weiteres Remake des Hauses in unsere Redaktionsräume geladen. Der JBL L75 Lautsprecher lief erstmals im Jahr 1969 vom Band und war als liegender Bookshelf-Speaker mit einem Breitbänder und einem Passivstrahler ausgeführt. Bei einer Belastbarkeit von 35 Watt (W) wies der Speaker einen Frequenzumfang von 45 Hertz (Hz) bis 15000 Hz auf. Der nun vorliegende JBL L75ms erinnert nur noch entfernt an den doch recht konventionellen kastenförmigen Look des Originals. Denn bei der Neuauflage könnte man meinen, man hätte es mit einer sehr ausladenden Soundbar zu tun. Was nicht ganz falsch ist, denn als solche ließe sich der L75ms durchaus verwenden. Überhaupt, mit welcher Geräteklasse haben wir es hier eigentlich zu tun? Centerspeaker? Aktivlautsprecher? All-In-One Streaming-System? JBL selbst vermarktet den L75ms auf seiner Webseite als “Music System”. Aber der Reihe nach.

Unser Testmuster ist mit seiner gerundeten Gehäusefront doch von deutlich extrovertiertem Auftreten als sein fünfzig Jahre älteres Vorgängermodell, wobei das rustikale Holzfurnier schon ganz klar die Designsprache der 1970er aufgreift. Auch seine Maße von knapp 30 Zentimeter (cm) Tiefe auf etwa 22 cm Höhe und fast 80 cm Breite kommunizieren klar, dass sich der JBL L75ms nicht im Traum daran denkt, sich in Zurückhaltung zu üben. Hinzu kommt der markante Frontgrill aus quadratisch gerastertem Kunststoff, welchen wir in ähnlicher Ausführung schon bei den Lautsprecher-Modellen JBL L100 Classic und L82 Classic bestaunen durften.

Für die Ansteuerung des Speakers wurde das Gerät mit einer eher überschaubaren Anzahl von Anschlussmöglichkeiten bestückt. So stehen uns analog ein 3,5mm-Klinke-Eingang als Aux-Weg und tatsächlich auch eine Phonovorstufe zur Verfügung. Digital kann neben dem HDMI-ARC auf eine Verbindung via Bluetooth zurückgegriffen werden. Außerdem lässt sich der L75ms ans lokale Netzwerk anschließen, womit sich auch Apple AirPlay 2 und Google Chromecast als kabellose Zuspieloptionen anbieten. Dass JBL neben HDMI auf physische digitale Eingänge wie TOSLink oder Koaxial verzichtet, finden wir dann doch etwas bedauerlich. Dabei stellt JBL dem L75ms doch sogar einen Analog-/Digitalwandler zur Verfügung der mit 32 Bit Datensatz auf 192 kHz Abtastrate ordentlich performt.

JBL – Key-Facts:

Gründungsjahr: 1946
Sitz: Northridge (Los Angeles), USA
Legendäre Produkte: JBL D44000 Paragon (Soundmöbel), JBL L100 (Lautsprecher), JBL SA-600 (Verstärker), JBL Everest DD55000 (Lautsprecher)
Webseite: de.jbl.com

JBL ist mit seinen 76 Jahren ein Urgestein der HiFi-Branche. 1946 gegründet, gehört es seit 1969 zur Harman International Group. Zu den Bestsellern der Firmengeschichte gehören wohl der L100 Century (1973) der Everest (1985) und mittlerweile auch die Bluetooth-Speaker der Flip-Kollektion.

Ordentlich Schub

Apropos Performance: Die hat es beim JBL L75ms ganz schön in sich. Über AirPlay streamen wir auf Tidal HiFi Plus den Titel „The Rip“ von Portisheads erst 2008 erschienenen und dennoch bereits Kultstatus innehabenden Albums „Third“. Der Song lässt einige Zeit auf den ikonischen Fade-In von Drums und Bass-Synth-Arpeggio warten, doch als es dann soweit ist, haben wir ihn: den JBL-Sound. Vollmundig und druckvoll spielt der JBL L75ms auf. Die Bässe sind kernig und zeigen ordentlich Kante, während Mitten und Höhen schön harmonisch abgestimmt daherkommen.

So richtig Partylaune kommt jedoch erst mit „Voyager“ von Daft Punk auf. Der Diskoknaller verdankt seinen Drive nicht zuletzt der genialen Bass Line, welche der L75ms richtig gekonnt in Szene zu setzen weiß. Drums und Gitarre sind dabei sehr impulsschnell abgesetzt und verhelfen dem Sound zu dem nötigen Grip.

Ebenso bei „Snowblind“ des isländischen Musikers Asgeir. Bei diesem Song sind die einzelnen Stimmen dermaßen crisp produziert, dass es einem fast die Schuhe auszieht. Hier träumerisch verhallte Gitarren, dort staubtrockene Drums und außerirdisch ineinander morphende Bass Sounds: Dem L75ms von JBL scheint dieser Titel am meisten Spaß zu machen. Er kann ordentlich ausfahren und sich gleichzeitig in Feingefühl üben. Und letzteres behält der Stand Alone Speaker selbst bei höchstem Schalldruck aufrecht. Denn wir müssen gestehen, dass dieser Test ganz klar zu den lautesten Gehört, die wir bisher gemacht haben. Weil es einfach Laune bereitet. Das trifft den Sound des JBL L75ms wohl am genauesten auf den Punkt. Er macht einfach Spaß. So wie wir es von JBL kennen: Nicht übertrieben feinsinnig oder elaboriert, sondern mit der klaren Intention einfach Freude beim Musikhören zu bereiten. Es geht hier vor allem darum, Musik physisch werden zu lassen, Luft in Bewegung zu bringen und letztlich auch uns vom Sofa zu holen. Und das gelingt ihm mit Bravour. Als seinerzeit der L100 auf den Markt kam, veröffentlichte JBL einen ikonischen TV-Spot, in welchem der Speaker dem Herrn im Sessel Kraft seines Schalldrucks die Krawatte über die Schulter bläst. Auf genau diesem Sessel könnten wir gerade sitzen. ■ Text: Artur Evers

Preis und Verfügbarkeit

Das JBL L75ms Music System gibt es zum Preis von 1.649 Euro (UVP) im Fachhandel zu kaufen. Farbausführung: Holzfunier-Finish (Walnuss) mit schwarzer Quadrex-Schaumabdeckung.

Webseite: www.de.jbl.com

Ausstattung JBL L75ms

Allgemein
GeräteklasseKompaktlautsprecher
HerstellerJBL
ModellL75ms
Preis (UVP)1.649 Euro
PreiskategorieMittelklasse
Maße (B/H/T)79 x 21,6 x 28,7 cm
Gewicht16 kg
Informationenwww.de.jbl.com
Technische Daten*
Arbeitsweiseaktiv
Bauform3-Wege bassreflex
Frequenzverlauf45 – 25.000 Hz (-6 dB)
Leistung350 W
Verbindung zur QuelleAnalog & Digital & BT
Stromversorgungk.A.
Raumempfehlung15 – 30 m²
individuelle Klangeinst.
EingängeAux, Phono, Bluetooth, Airplay, Chromecast

*Herstellerangaben

Anmerkung: Dieser Testbericht erschien zuerst in AUDIO TEST Ausgabe 08/2022

▶ Lesen Sie hier: Test: JBL 4305P Aktivlautsprecher / Studiomonitor im Retro-Look

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Test: JBL L75ms – All-In-One Music System / Wireless-Lautsprecher
Fazit
Lautsprecher von JBL sind nicht gerade bekannt dafür, mit dem Sezierbesteck ans Werk zu gehen. Auch der L75ms macht da keine Ausnahme. Der aktive Speaker ist kraftvoll und ausdrucksstark und überzeugt auch bei hoher Auslas- tung durch einen sauberen unverzerrten Sound. Zwar würden wir uns den ein oder anderen weiteren Eingang wünschen, dafür verfügt das Musiksystem – vielleicht der guten alten Zeiten wegen – über eine Phono-Vorstufe.
Wiedergabequalität
87
Ausstattung/Verarbeitung
90
Benutzerfreundlichkeit
87
Preis/Leistung
80
Leserwertung8 Bewertungen
71
Vorteile
kraftvoller Sound
All in One-System
Nachteile
kein physischer Digitaleingang
87
Gesamtergebnis

Bildquellen:

  • JBL L75ms Test: Auerbach Verlag