Test: Pro-Ject Primary – Simpel und gut

Simpel und gut

Vergessen Sie alles, was sie bisher über Einsteigergeräte der Kategorie Schallplattenspieler gelernt haben. Dass, und wie es besser geht, zeigt uns der Grundschüler: Primary.

Und sie wissen ja wie das mit der Grundschule ist. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Unser Grundschüler hieß in diesem Fall zwar nicht Hans, sondern Heinz, aber er hat offensichtlich gut aufgepasst, denn der Primary ist eine echte Reifeprüfung für seine Klassenkameraden. Wer sich mit Plattenspielern beschäftigt, dem ist die Schmiede Pro-Ject aus dem Hause Heinz Lichtenegger wohl bekannt. Bereits seit 1990 produziert man unter Anleitung aus Österreich in Tschechien und der Slowakei solide und auch high-endige Dreher mit großem Erfolg. Besonders im Einsteigerbereich sehen wir aber eine Stärke des Projekts Pro-Ject. Kaum ein anderer Hersteller schafft es, zu einem so unfassbar guten Preis auch das entsprechende Produkt auf den Markt zu bringen. So wundert uns nicht, dass auch das Modell Primary in beiden Punkten überzeugen kann. Preis zu Leistung steht beim Primary jedenfalls in keinem Verhältnis. Mit dieser Qualität die 200 Euro-Marke zu unterbieten, ist fast schon unverschämt günstig. Wie kommen wir zu diesem Eindruck, fragen Sie vielleicht. Nun, zum einen steckt im Primary bereits schon ziemlich viel Service drin, denn alle Elemente des Systems kommen akribisch voreingestellt. Wir reden hier vom Antiskating, dem Auflagedruck, Tonarmausrichtung und Bestückung usw. Wer schon mal einen zerlegten Plattenspieler aufgebaut hat, weiß, wir zeitintensiv und herausfordernd eine gute Einrichtung sein kann. Der Primary ist eher so Plug-and-Play. Und das spürt man auch. Man kann fühlen, dass da bereits ein Mensch, ein Kenner, seine Finger im Spiel hatte. Denn dem guten Stück fehlt es an nichts. Nur noch den Riemen muss man auflegen und auf Wunsch die Acrylglasverkleidung aufsetzen. Anschließen, Musik hören. Das ist eine echte Erfahrung für uns gewesen. Danke an der Stelle dafür.

Das Auflagegewicht und Antiskating sind ab Werk bereits vorkonfiguriert. Das macht den Primary zu einem echten Plug-and-Play-Teller

Aber nicht nur im Segment der User Experience kann der Primary punkten. Auch die Verarbeitung macht einen positiven Eindruck, der weit über die Erwartungen an die Preisklasse hinaus geht. Es ist einfach alles an Ort und Stelle und es fühlt sich richtig an. Der Riemenantrieb mit Synchronmotor läuft ruhig und gleichmäßig. Das Versprechen, der durch eine integrierte Motorsteuerung minimierten Vibrationen, wird deutlich gehalten. Auch der 0,8 Kilogramm schwere und 30 Zentimeter große MDF-Teller dreht ohne erkennbares Spiel seine Runde. Dabei ist die Belastbarkeit an der Außenkante erstaunlich hoch. Oft gibt es bei Einsteigermodellen hier einen größeren Spielraum. Der Primary ist da schon ein paar Wert-Stufen weiter. Die Plattenspielerachse hat nicht nur ein beeindruckend geringes Spiel. Da sie aus Edelstahl ist, dass in Bronze lagert und mit einem Teflonboden abschließt, sorgt sie zudem für eine perfekte Laufruhe. Am 8,6 Zoll messenden Aluminium-Tonarm, der in einem Saphir-Lager hängt, ruht ein bereits vormontierter Tonabnehmer. Dabei handelt es sich um das Modell OM5e von Ortofon. Der OM5e ist dabei natürlich auch als Einsteigervariante zu sehen, leistet aber souveräne Dienste und transportiert den Vinyl-Vibe schon ziemlich direkt und warm. Seine Stärke liegt im relativ offenem Frequenzgang bis 25 kHz. Ein wenig Brillanz mehr könnte der mit 70 Euro im Einzelkauf zu Buche schlagende MM vertragen, aber das hört nur, wer wesentlich teurere Nadeln oder MCs gewohnt ist. Wer die kleinen Ortofon-Stifte kennt, weiß, dass man sie ziemlich leicht gegen andere Nadelspitzen tauschen kann, ähnlich einem SME bei Köpfen, nur ein bisschen kleiner. Das erleichtert natürlich einiges und das Angebot an kompatiblen Nadeln ist wirklich gut. Aber der OM5e macht keine schlechte Figur, das wollen wir natürlich an der Stelle noch mal klarstellen. So sind wir Deutschen halt manchmal. „Nicht schlecht“ ist quasi „gut“, und „gut“ ist „eigentlich ziemlich gut“. Kennen Sie das? Wie dem auch sei. Wir sind mit dem Paket nach dem ersten Eindruck auf jeden Fall sehr glücklich und freuen uns, endlich einen Plattenspieler gefunden zu haben, für die, die schon so lange auf der Suche nach einem echt guten Plattenspieler für erschwingliches Geld sind. Und der zweite Eindruck? Denn schließlich macht die Nadel alleine noch keine Musik. Auch die Konnektivität spielt natürlich eine Rolle. Und da setzt der Primary wiederum qualitativ die Messlatte noch einmal um einiges höher an. Die passenden Phono-Kabel sind schon im Preis mit inklusive. Sie kommen zwar fest verkabelt. Aber dafür in einer Variante mit hartvergoldeten RCA-Steckern daher. Das taugt. Würde man in Süddeutschland oder Österreich vielleicht sagen. Darüber hinaus ist der Primary vorbildlich mit einem Dreipunkt-Fußsystem ausgestattet, welches zur optimalen Entkopplung beiträgt. Denn der Statiker weiß, bei drei Punkten kann nichts wackeln.

Der OM5e-Tonabnehmer ist eine großzügige Grundausstattung für Einsteiger. Das Wechseln der Nadel ist ein Kinderspiel

Klang

Das Schönste für einen Tester an so einem fertigen Gerät ist aber vor allem, man kann sofort loshören. Und das ist bei Vinyl eine echte Seltenheit. Wir hatten zunächst unser Standardtestwerk von Gregory Porter griffbereit, hatten es aber nach nur wenigen Takten schon wieder vom Teller gehoben, weil wir sofort wussten: Hier geht mehr. Schnell folgte Klassik, weil uns gewahr wurde, dass der erste kritische Blick sich in wohlgefallen aufgelöst hatte. Wir wollten also, wie der Primary auch, schnell ans Werk. Konkret ans Werk von Anton Bruckner. Dessen „Sinfonie Nr. 5 in B-Dur“ ist in ihrer Originalfassung bei guter Aufnahme eine Herausforderung für die Stereoauflösung und Dynamikdarstellung. Die von Blechbläsern dominierten Tutti und Fanfaren, im Wechselspiel mit dem Pianissimo der zarten, fast schon beängstigten Violinen des Adagio-Allegro, sind eine echte Herausforderung für jeden Plattenspieler, der sich das Prädikat „audiophil“ verdienen will. Der Primary lässt keine Zweifel daran offen, dass er die Reife zur Mitgliedschaft in dieser Liga in sich trägt. Die Introduktion Bruckners gibt ihr Bestes, klingt blechern, drohend, laut und angsteinflößend, doch der Primary weiß, dass die dynamische Auflösung bei diesem Stück schnell folgt und hält der Anspannung stand, ohne die Performance dabei zu zerreißen. Bravo! Mit brachialer Dynamik kommt der Primary offensichtlich sehr gut zurecht. Wir wollten uns aber noch einmal ein wenig die Stereoauflösung anhören, also schwenkten wir zur Sparte Oper. George Bizets Carmen dient hier als gutes Beispiel, sofern minimalistisch stereo-mikrofoniert. Der darin enthaltene „Chor der Straßenjungen“ wandert bei Erscheinen von rechts hinten aus dem Diffusfeld zentral in die Bühnenmitte fast direkt vor das Mikrofon. Diesen Weg klar zu zeichnen fällt Einsteigergeräten gerne schwer. Beim Primary fiel es uns verhältnismäßig leicht den Stimmen bei ihrer Reise über die Bühne zu folgen. Das Panorama machte für uns zu keiner Zeit den Eindruck zu verwaschen, im Gegenteil. Die Ortbarkeit auf der horizontalen ist wirklich exzellent. Wer hochpreisige High-End-Dreher kennt, wird vielleicht bemerken, dass in der Bühne nach hinten noch etwas Spiel ist, aber hey, für weniger als 200 Euro bekommt man mit dem Primary eine Dauerkarte in jedes Konzert. Das Gütesigel „audiophil“ und „kann Klassik“ hat sich unser Exemplar auf jeden Fall verdient.

Der Plattenspieler ist fest verkabelt und hat ein externes 15 V-Netzteil. Beides macht einen soliden Eindruck

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Anmerkung: Dieser Testbericht erschien erstmalig in der Printausgabe von AUDIO TEST Ausgabe 5/2018.

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Fazit
Der Primary ist ein Kunststück. Selten zuvor, wenn nicht sogar nie zuvor, haben wir einen Plattenspieler testen dürfen, der so viel Wiedergabequalität bietet und dabei so viel Geld für den Kauf von Schallplatten übrig lässt. Der Sohn will seinen eigenen Plattenspieler und Sie suchen etwas günstiges, das nicht Made in China ist, sondern in Europa gebaut wurde? Oder aber Sie zögern beim Vinyl-Einstieg und wollen es gerne auf bereits hohem Niveau ohne viel Vorerfahrung mal ausprobieren? Dann sollte der Primary ganz oben auf Ihrer Liste stehen.
Wiedergabequalität
80
Ausstattung/Verarbeitung
68
Benutzerfreundlichkeit
85
Preis/Leistung
94
Leserwertung127 Bewertungen
31
Vorteile
sehr günstig
gutes Vinyl- und Klangerlebnis
Nachteile
Festverkabelung
81

Bildquellen:

  • Pro-Ject Primary Tonarm: Bildrechte beim Autor
  • Pro-Ject Primary Tonabnehmer: Bildrechte beim Autor
  • Pro-Ject Primary Anschlüsse: Bildrechte beim Autor
  • Schallplatte Vinyl Beilage: Auerbach Verlag
  • Pro-Ject Primary: Bildrechte beim Autor