Wo befindet sich das größte Tonstudio der Welt? Wieso haben DJs in der DDR fast nie mit echten Schallplatten aufgelegt? Und was haben unsere Leser mit DDR-HiFi erlebt? Echte Überraschungen erwarten Sie im zweiten Teil unserer Reihe über HiFi in der DDR. Der Fortsetzung unseres ersten und sehr beliebten Artikels zum Thema Hifi in der DDR.

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Im letzten Jahr brachten wir die erste reine Retro-HiFi-Ausgabe der AUDIO TEST heraus. Ich verfasste dafür einen Artikel über „HiFi in der DDR“, ein Thema, dem sich bis dato noch nicht viele Schreiber widmeten. Damals konnte ich nicht ahnen, welche Wellen der Artikel schlagen würde. Viele unserer Leser schrieben mir ihre persönliche HiFi-DDR-Geschichte als Leserbrief, teilweise mit vielen tollen Fotos von alten Technikraritäten. Es war für mich wahnsinnig interessant, alle zu lesen und noch weiter ins Thema einzutauchen.
Und genau deshalb muss es in dieser zweiten Retro-Ausgabe unseres Magazins einen weiteren Artikel darüber geben. Zwei DDR-HiFi-Geschichten unserer Leser habe ich dafür exemplarisch herausgesucht. Und ich recherchierte, wie die DDR eigentlich klang. Gab es einen typischen DDR-Sound? Und wo bekamen die Menschen des kleinen Landes ihre Musik her? Dabei entdeckte ich Zusammenhänge, die ich niemals erwartet hätte. Doch starten wir mit einer Lesergeschichte.
Das beste DDR-Radio, das es nie gab
1987/88 wurde ein ungewöhnliches Radio auf der Kunstausstellung in Dresden und kurz darauf auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1988 gezeigt. Auch unser Leser Ekhardt Preuss war damals dabei und erinnert sich noch, wie die Besucher kontrovers über dieses „RK 90 Sensit Cubus“ diskutierten. Schon allein die ungewöhnliche Würfel-Form war ein Aufreger. Wie fast alle revolutionären Radios der DDR kam es aus dem VEB Gerätebau Limbach. In der Bevölkerung hieß der aber nur: Heliradio, denn so lautete der Firmenname vor der Verstaatlichung. Kreativität und Erfindungsreichtum prägten stets die Produkte von Heliradio. Und selbst heute haben die Tuner, All-In-One-Anlagen, Lautsprecher oder Receiver aus Limbach-Oberfrohna eine große und treue Fangemeinde.
Doch zurück zum „Heli RK 90 Sensit Cubus“. Für die DDR war es ein revolutionäres Radio. Es besaß eine vollständige digitale Steuerung sowie Frequenzaufbereitung. Zudem konnten die meisten Funktionen nur per Fernbedienung ausgeführt werden, für die DDR ein absolutes Novum. Und natürlich war die Optik spektakulär. Im ausgeschalteten Zustand war es praktisch ein schwarzer Würfel. Erst wann man es einschaltete, offenbarte es seine eindrucksvolle Technik. Überall blinkten rote, grüne und orange LEDs und selbst die Sender wurden digital angezeigt. Für Technikfreunde ist das heute noch ein wahrer Augenschmaus.

Wie viele innovative Geräte, die in der DDR erfunden wurden, fiel auch dieses der Planwirtschaft zum Opfer. Nur 10 serienreife Vorführgeräte baute man. Wir können uns vorstellen, dass der Würfel deshalb schnell eine Legende in Sammlerkreisen wurde. Und genau auf diese Legende stieß 2010 unser Leser Ekhardt Preuss bei einem bekannten Internetauktionshaus. Eigentlich sollte dieses Gerät kurz nach der Wende als „Krempel“ in den Müllcontainer geworfen werden. Doch der mit der Räumung beauftragte Unternehmer nahm es mit, ohne dessen genaue Bedeutung zu kennen.
Herr Preuss dachte sich: „Dieses Stück gehört nicht in private Hände, sondern ins Museum.“ Er überzeugte das Industriemuseum Chemnitz bzw. dessen Förderverein die Beschaffungskosten des Gerätes (circa 2.000 Euro) und die Ausgaben für dessen Instandsetzung, die er selbst ausführte, zu übernehmen. Das konnte er, weil er sich seit den 2000ern häufig DDR-Unterhaltungselektronik besorgte – oft aus dem Sperrmüll – und reparierte. So verbrachte er seine Nächte, denn seine vier kleinen Kinder hielten ihn damals oft wach. Insgesamt dauerte die Instandsetzung des Radios circa 40 Stunden. Eine relativ kurze Zeit, die darauf zurückzuführen ist, dass das Herz des Gerätes, der Steuercomputer, noch in Ordnung war.

Wegen dieses Einsatzes von Herrn Preuss können die Besucherinnen und Besucher des Industriemuseums Chemnitz dort seit dem 16. Februar 2011 eines der seltenen Exemplare des RK 90 Sensit Cubus bestaunen. Wobei es auch noch einen kleinen „Kriminalfall“ um das Heliradio einige Jahre später gab. Doch diesen heben wir uns für den dritten Teil von HiFi in der DDR auf.
Woher bekamen DDR-Bürger Westmusik?
Da wir eben vom Radio geredet haben, stellt sich die Frage: Woher bekamen DDR-Bürger überhaupt Westmusik? Während die Jugend in Westdeutschland ihre Musik auf Vinyl im Plattengeschäft kaufte, war das in der DDR anders. Hier gab es zwar einige Lizenzpressungen aus dem Westen, aber diese waren meist nur unter dem Ladentisch zu bekommen. Und viele Alben kamen gar nicht im Osten heraus.
Doch es gab Abhilfe: das Radio. Hier wurde fleißig Musik auf Tonband und später Kassette mitgeschnitten. Alle, die jetzt glauben, die „armen Ossis“ haben deshalb die ganze Zeit „Westradio“ gehört, die irren sich. Die beste Quelle für hochwertige Musikmitschnitte war der einzige Jugendsender der DDR: DT64.
Hier liefen natürlich viele DDR-Bands, doch auch eine ganze Menge Westmusik. Dabei war DT64 bekannt für seine mitschneidefreundliche Präsentation der Songs. Sie wurden in aller Regel immer ausgespielt und kein Moderator oder Moderatorin sprach auf den Titel drauf. Das ging sogar so weit, dass es eine ganze Sendestrecke auf DT64 gab, bei welcher komplette Alben im Radio gespielt wurden. Ich selbst bin so an mein erstes Album von Bomb the Bass „Beat Dis“ gekommen sowie an Janet Jacksons „Rhythm Nation 1814“ – auch heute immer noch sehr hörenswert. In der einen Woche gab es die komplette A-Seite zum Mitschneiden und in der Folgewoche darauf die B-Seite.
Bei einigen Sendungen wurden sogar am Ende die Titellisten als digitale Audio-Datei über den Sender geschickt. Diese quietschenden Töne nahmen Musikfreunde auf Kassette auf und spielten die Aufnahme auf den KC 87 von Robotron oder einen anderen der wenigen Heimcomputer, die es in der DDR gab. So bekamen sie die komplette Titelliste der gespielten Songs der Sendung. Die Liste wurde ausgedruckt oder abgeschrieben und wanderte in die Kassettenhülle der Kassette mit dem Sende-Mitschnitt.
Andere Musikenthusiasten führten z. B. auch ein Buch mit allen Songtiteln und einer genauen Angabe, an welchem Zählerstand der Kassette der entsprechende Song zu finden war. Aus diesem Grund war auch ein DJ in der DDR – offiziell nannte man sie „staatlich geprüfte Schallplattenunterhalter“ (kurz: SPU) – eher selten jemand, der Schallplatten auflegte, sondern jemand, der Kassetten abspielte und fleißig hin und her spulte – den Laufwerkszähler stets im Blick.
Ungewöhnliches Jugendweihe-Geschenk?
Bei Kassettenaufnehmen als Jugendlicher fällt mir die Geschichte unseres Lesers Christian Klug ein. Er wünschte sich tatsächlich zur Jugendweihe eine RFT-HiFi-Anlage. Das ist nicht ungewöhnlich für einen jungen Mann meinen Sie? Recht haben Sie, allerdings war Christians Jugendweihe 1991. Zu dieser Zeit war im Osten der Republik eigentlich alles verpönt, was auch nur etwas mit der DDR zu tun hatte. Die meisten ehemaligen DDR-Bürgerinnen gierten ausschließlich nach West-Technik. Doch unser Leser nicht. Er hatte sich in diese RFT-Anlage, die er bei Nachbarn sah, verliebt. Die blinkenden LEDs, die Technik und überhaupt der musikalische Charme taten es ihm an.
Dabei war ihm das Glück hold, denn diese Nachbarn machten es wie die meisten und kauften sich nach der Wende eine West-HiFi-Anlage. Christians Vater übernahm die RFT-Bausteine für günstige 200 DM. So bekam sein Sohn im Jahr 1991 den Verstärker SV 3930, den PLL-Tuner ST3936, den Plattenspieler SD3935 sowie das Kassettendeck GC6031 plus die 2-Wege Kompaktboxen B9301. Drei Jahre früher hätte ein DDR-Arbeiter für solch eine HiFi-Anlage praktisch seinen gesamten Jahreslohn aufwenden müssen.
Zehn Jahre hatte Christian Klug Spaß an der Anlage, doch dann wurde er vom Surround-Fieber erfasst. Der DDR-Oldie verschwand gut verpackt auf dem Dachboden und ein 5.1-System wurde installiert. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. 2019 fielen unserem Leser die Kartons von damals in die Hände. Nur der Schallplattenspieler nicht, denn dieser war leider bereits im Jahr 2004 auf den Sperrmüll gewandert.

Jedenfalls baute er die Anlage wieder auf und war sofort vom Sound der Vergangenheit infiziert. Natürlich funktionierte nicht mehr alles. Einiges musste repariert werden, aber das ist ja das Geniale an DDR-Audiotechnik: sie ist einfach und gut reparierbar. Jedes Teil kann meist sehr einfach ausgetauscht werden.
Zudem erfüllte er sich fast 30 Jahre später zwei Wünsche. Er legte sich den Mixer SM 3930 sowie ein paar BR-26 Boxen von RFT zu. Da die Lautsprecher in einem schlechten Zustand waren, half ihm das Team von ME Geithain gegen eine „Hörentschädigungspauschale“ neue Sicken zu montieren, wie er uns berichtet.

Nun steht bei Christian Klug also seine Traumanlage aus Jugendzeiten und er schwärmt von „der Dynamik, mit welcher die Musik in den Raum strömt. Die Bässe sind selbst bei Zimmerlautstärke sehr präzise und kraftvoll und die Höhen extrem klar. Bei klassischer Musik hört man sogar das Aufsetzen der Bögen auf ein Streichinstrument. Insgesamt ist es ein unbeschreiblich warmer Klang.“ Und genau das, was er sagt, berichteten mir viele andere unserer Leserinnen und Leser.
Auch ich habe DDR-Anlagen gehört, die bereits bei geringer Lautstärke mit einer Energie, Feinheit und wundervoller Wärme Musik gespielt haben, dass ich absolut nachvollziehen kann, weshalb so viele Menschen nichts auf ihre DDR-Anlagen kommen lassen. Um sich solch ein Klangerlebnis heutzutage kaufen zu können, müsste man schon viel Geld in die Hand nehmen.
Berlin, Nalepastraße: der DDR-Sound
Der Name ME Geithain fiel bereits. Er ist in Ostdeutschland, genauso wie Heliradio, eine Legende. Die Firma baute in der DDR – wo sie noch „PGH Fernsehen, Rundfunk, Uhren“ bzw. später „VEB Musikelectronic Geithain“ hieß – legendäre Studiotechnik wie den Transistor-Mikrofonverstärker TMV 1 oder den Studio-Leistungsverstärker V 733.
Doch wirklich Kultstatus erreichte das Unternehmen durch den RL 900 Lautsprecher. Dieser Studio-Monitor erzeugte einen Sound, der er es mit der internationalen Konkurrenz nicht nur aufnehmen konnte. Er übertraf sie teilweise dank seiner Räumlichkeit und Präzision bei gleichzeitiger musikalischer Darbietung und sehr hoher Dynamik, selbst bei geringeren Lautstärken. Preis des Schmuckstücks: 10.000 Ost-Mark.
Damit war er wirklich nur etwas für Profis. Aber in diesem Bereich war die Box überall zu finden. Das gesamte Funkhaus in der Berliner Nalepastraße war mit den Studio-Lautsprechern aus Geithain ausgestattet. Dort werden sie auch heute noch genutzt.

Im Funkhaus Nalepastraße in Berlin wurde das gesamte Rundfunkprogramm der DDR produziert, bis auf wenige Regionalsender. Auch ein Großteil der Aufnahmen der VEB Deutsche Schallplatten Berlin (Labels u.a. Amiga, Eterna) fanden hier statt. Immerhin gab es dort Aufnahmeräume, die nicht nur separate Wände hatten, sondern sogar eigene Fundamente. Damit waren sie absolut von der Umgebung entkoppelt.
Und das größte Studio der Welt ist dort auch zu finden. Es ist der Sendesaal 1 im Block B. Dieser kommt auf 12.300 Kubikmeter. Das angeblich größte Studio der Welt in den Abbey Road Studios in London erreicht dagegen „nur“ 6000 Kubikmeter.
Doch zurück zum DDR-Sound. Wenn die DDR-Bürger ihre Musik meist aus dem Radio mitschnitten und diese Radiomusik sowie die meisten DDR-Platten-Aufnahmen in der Nalepastraße entstanden, ergibt sich von selbst, dass der Sound der DDR durch das Funkhaus bestimmt wurde. Und da hier die Geithain-Lautsprecher als Abhörmonitore dienten, waren es im Endeffekt diese Lautsprecher, die festlegten, wie die DDR größtenteils klang – zumindest an der Quelle.
Allerdings müssen wir noch ein Missverständnis aus der Welt räumen. Vielleicht sind Sie schonmal über den Begriff „Nalepa-Sound“ gestolpert. Damit ist nicht der von mir eben beschriebene DDR-Klang gemeint, sondern die Sprechweise in DDR-Hörspielen. Diese wurden in der Regel spätabends aufgenommen. Die Schauspieler und Schauspielerinnen eilten also von ihren Vorstellungen im Theater zu den Hörspiel-Aufnahmen. Ihr Sprechduktus war entsprechend theatralisch und das hört man den DDR-Hörspielen an. Für diese Art des Hörspiel-Sprechens bürgerte sich dann in Fachkreisen der Begriff „Nalepa-Sound“ ein.
Aber das ist nur eine Erklärung für den „Nalepa-Sound“
Unser Leser Andreas Koch schrieb uns Folgendes:
Hallo Herr Kirsche,
Ich möchte mich mal zum „Nalepa Sound“ äußern. Bezüglich der Ursache desselben kenne ich eine ganz andere Geschichte und möchte sie gleich an Herrn Kieseler von ME Geithain verweisen.
Die Hörspiel Sprech-Sache kenne ich so nicht. Vielmehr ist mir eine Verfärbung im Bereich um 1,5 kHz bei den (Vorgänger der RL 900 ) 018 oder TH 315 Koaxiallautsprechern der Firma Schulz Berlin als eigentliche Ursache bekannt. Die Ton-Meister arbeiteten nun immer gegen diesen Fehler, was eine Verfärbung des Programms bzw. aller Produktionen nach zog diese eben den speziellen Nalepa Sound.
Da der O18 der Standard Referenz Studiolautsprecher in vielen DDR Studios war und natürlich bis zum RL900 auch in der Nalepastrasse eingesetzt wurde, denke ich ist diese Ursache plausibel.
Ich kenne beide Lautsprecher O18 und RL 900 recht gut und arbeite selber mit RL901k. Für genauere Informationen schreiben Sie mir ruhig und bitte fragen Sie Herrn Kieseler, der muss es wissen.
Viele Grüße
Andreas Koch
Und ich muss zugeben, dass Herrn Kochs Erklärung des Nalepa Sounds absolut plausibel klingt. Vielleicht wird einfach unter Hörspiel-/Theater-Leuten die eine Geschichte erzählt und unter HiFi- bzw. Technik-Freunden die Version unseres Lesers Andreas Koch. Auf jeden Fall bleibt die DDR-HiFi-Geschichte ein weiterhin spannendes Thema.
Leseraufruf
Liebe Leser, haben auch Sie noch eine HiFi-Rarität aus DDR-Zeiten im Keller oder sogar noch in Benutzung? Möchten Sie eine besondere Anekdote aus der Zeit vor 1989 mit uns teilen? Schreiben Sie uns doch gern einen Leserbrief und wenn Sie möchten gern mit einem Foto Ihres ganz persönlichen HiFi-Klassikers aus der DDR. Wir freuen uns auf Ihre Einsendungen an [email protected].
Mehr Informationen und Quellen:
- „Der Weg des rk90 sensit ins Industriemuseum“ von Ekhardt Preuss, in: Museumskurier des Chemnitzer Industriemuseums und seines Fördervereins, 27. Ausgabe (Juni 2011), Seite 24-25.
- ME Geithain: „Geschichte“, https://www.me-geithain.de/de/geschichte.html
- Deutschlandfunk Kultur: „Zwischen Vorgestern und Übermorgen“ von Jörg Degenhardt und Frank Ulbricht, 17.07.2022, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-besuch-im-funkhaus-nalepastrasse-zwischen-vorgestern-100.html
- YouTube: SOS visit Funkhaus Studios Berlin – East German Broadcasting Studios, 2015, https://www.youtube.com/watch?v=z_i0oAFB6Kg&t=1521s
► Lesen Sie hier: HiFi in der DDR: Rückblick auf 40 Jahre Audio- und HiFi-Geschichte

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