Bild: Auerbach Verlag

Das Wunder des Hörens

Wir HiFi-Enthusiasten diskutieren leidenschaftlich gerne über den linearsten Frequenzgang, das breiteste Stereopanorama und die realistischste Tiefenstaffelung. Aber wie nimmt unser Gehör das eigentlich alles wahr?

Das Wunder des Hörens: Das menschliche Ohr ist eine unserer wichtigsten Schnittstellen zur Außenwelt, unser Instrument, Schall wahrzunehmen und Dinge zu hören. Was uns selbstverständlich erscheint ist ein hochkompliziertes Zusammenspiel zwischen Ohren und Gehirn, das wir Ihnen in vereinfachter Form erklären möchten. Mit diesem Grundlagenwissen werden Sie selbst kompetente Hifi-Fachhändler in Staunen versetzen.

Von Knöchelchen und Härchen

Wie verarbeiten wir den Schall? Alles beginnt an der Ohrmuschel, auf die das Signal zunächst trifft (siehe Abbildung auf S. 21). Mit ihrer Trichterform sammelt sie den Schall und leitet ihn durch den äußeren Gehörgang zum Trommelfell – einer hauchdünnen Membran. Mit dem Trommelfell ist ein System aus feinsten Knöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel) verwachsen, das die Schallwelle in das flüssigkeitsgefüllte Innenohr weitergeleitet. Die Knöchelchen dienen als Impedanzwandler und transformieren die niedrigen Schalldrücke der gasförmigen Luft in höhere Drücke in der Flüssigkeit des Innenohrs. Die Welle läuft nun durch die Hörschnecke, wo sie feinste Haarsinneszellen in Bewegung versetzt, die hierdurch Nervenreize auslösen. Der Hörnerv gibt diese schließlich an das Gehirn weiter. Auf diese Weise ist das menschliche Gehör ist in der Lage, bis zu 3 000 Tonstufen in einem Hörbereich von etwa zehn Oktaven zu unterscheiden. Außerdem reagiert es auf Pegelschwankungen, wobei die Schmerzgrenze bei 120 Dezibel liegt. Durch Überlastung und nachlassender Durchblutung sterben im Laufe des Lebens die feinsten Haarsinneszellen ab, weshalb ältere Menschen oft Probleme haben, hohe Frequenzen wahrzunehmen. Übrigens befindet sich im Ohr auch das ganz ähnlich funktionierende Gleichgewichtsorgan, ein flüssigkeitsgefüllter Hohlraum, der durch Haarsinneszellen Bewegungen des Kopfes registriert.

Richtungshören

Die Lokalisation von Schallquellen funktioniert durch das Zusammenspiel vieler Effekte. Für das Richtungshören ist es notwendig, dass wir zwei Ohren besitzen oder besser gesagt: Wir besitzen nur deshalb zwei Ohren, damit wir Geräusche orten können. Einerseits nimmt unser Gehör Laufzeitunterschiede zwischen den beiden Ohren war. Das bedeutet, dass der Schall an dem einen Ohr einige Millisekunden eher ankommt als an dem anderen. Andererseits ist das Signal an dem Ohr lauter, das näher zur Schallquelle liegt. Aus diesen Informationsunterschieden errechnet unser Gehirn den genauen Standpunkt der Schallquelle. Ein Stereo-Lautsprechersystem nutzt diese Effekte aus, um sogenannte Phantomschallquellen zu erzeugen, die scheinbar zwischen den beiden Lautsprechern liegen. Wie aber hören wir, ob ein Signal von oben, unten oder hinten kommt? Dazu benutzen wir hauptsächlich klangliche Unterschiede. Schall klingt für uns nämlich aus jeder Richtung etwas anders. Das liegt an Reflexionen, Absorptionen und Beugungseffekten an unserem Kopf, Rumpf und insbesondere den Ohrmuscheln, deren Form über Jahrmillionen für das dreidimensionale Hören optimiert wurde. Durch ihre Gestalt verändern sie den Schall aus jeder Richtung spezifisch. Übrigens fanden Wissenschaftler heraus, dass die meisten Menschen Schallphänomene, die genau über ihrem Kopf stattfinden, fälschlicher Weise hinter dem Kopf verorten. Man führt dies auf ein evolutionäres Schutzprogramm zurück: Für das Überleben unserer Vorfahren, die noch nicht an der Spitze der Nahrungskette standen, war es besser, sich einmal zu oft umzudrehen als einmal zu wenig. Surround-Ton-Verfahren spielen mit unserer Fähigkeit zur Rundum-Lokalisierung, indem sie Schallphänomene praktisch überall im 360-Grad-Radius erscheinen lassen können. Neue 3D-Surround-Techniken wie Dolby Atmos und Auro 3D erweitern das Schallfeld sogar nach oben.

Entfernungshören

Anders als man annehmen könnte, hat die Lautstärke eine geringe Bedeutung für die Einschätzung, wie weit eine Schallquelle von uns entfernt ist. Auch wenn der Pegel mit zunehmender Entfernung abfällt, können wir nicht immer wissen, wie laut ein uns unbekanntes Geräusch sein sollte. Für das Entfernungshören ist daher das Verhältnis von Direktschall zu Diffusschall maßgeblich. Direktschall bezeichnet das von der Quelle ausgesendete Signal, der Begriff Diffusschall bezieht sich auf die an den Raumwänden und Gegenständen reflektierten Geräuschanteile. Mit zunehmender Entfernung wachsen die diffusen Schallanteile wohingegen die direkten abnehmen. In der freien Natur, in der kaum Reflexionen stattfinden, gibt es allerdings kaum Diffusschall, weshalb hier ein anderer Effekt zum Tragen kommt. Auf größere Entfernung nämlich ändert sich der Klang dahingehend, dass die hohen Frequenzanteile verloren gehen, das Signal also dumpfer klingt. Der Luftwiderstand wirkt sich zuerst auf die Höhen aus, da sie aus den kleinsten Schwingungen mit der geringsten Energie resultieren, die der Trägheit der Luftmasse nicht viel entgegensetzen zu haben.

Hören wie ein Fisch im Wasser

Die Ohren der Fische sind kleine Röhrchen, die hinter den Augen sitzen und mit Flüssigkeit gefüllt sind. Wenn Schallwellen auftreffen, werden kleine Kalksteinchen, die in den Röhren schwimmen, in Schwingung versetzt. Diese Schwingung erregt die anliegenden Sinneszellen, die die Informationen weiter an das Gehirn senden. Es gibt einige Arten von Fischen, bei denen das Gehör mit der Schwimmblase verbunden ist. Dort werden die Schwingungen der Blase dann auf das Ohr übertragen. Schallwellen breiten sich unter Wasser viermal so schnell aus, wie in der Luft, wodurch die Ortung durch Laufzeitunterschiede nicht möglich ist. Für das Richtungshören haben Fische ein sogenanntes Seitenliniensystem, mit dem die Tiere Erschütterungen und eben auch Töne wahrnehmen können. Dieses System besteht aus einer mit Schleim gefüllten Röhre, die durch feine Poren mit der Außenwelt verbunden ist. Auch in dieser Röhre befindet sich eine Flüssigkeit und feine Haarsinneszellen. Diese werden von auftreffenden Druckwellen erregt und der Fisch erhält Informationen über den Ursprungsort der Druckwelle. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Gehör von Fischen und dem Unseren sind nicht zufällig. Unser Gehörsinn entwickelte sich nämlich aus dem unserer ältesten tierischen Vorfahren – der Fische.