Likehifi.de vor Ort: Im Plattenpresswerk bei Rand Muzik in Leipzig

Die Renaissance und die damit verbundene Erfolgswelle der Schallplatte ist weiterhin ungebrochen. Erst kürzlich hat der Verband der britischen Musikindustrie (BPI) mitgeteilt, dass die Vinyl-Verkäufe in Großbritannien ihren höchsten Stand seit 25 Jahren erreicht haben und mittlerweile (in der ersten Dezember-Woche 2016) selbst den Umsatz von digitalen Downloads toppen. Doch worin liegt der Hype um das schwarze Gold begründet? Wir waren im Leipziger Plattenpresswerk R.A.N.D. (Rand) Muzik zu Gast.

Die Haptik einer Schallplatte ist unersetzlich. Dieser Aussage kann man nur schwerlich widersprechen. Doch ist das wahrhaftig alles? Viele sprechen im gleichen Atemzug auch von einem wärmeren Klang. Aber klingt Musik von Vinyl wirklich angenehmer? Was steckt noch hinter der Faszination dieses Tonträgers und war die Schallplatte eigentlich jemals wirklich von der Bildfläche verschwunden? Das Team von Likehifi.de und AUDIO TEST begab sich vor einer Weile im Leipziger Plattenpresswerk R.A.N.D. MUZIK in direkter Nachbarschaft zum Verlagshaus auf Spurensuche und schaute sich den komplexen und aufwändigen Produktionsprozess an.

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Im hauseigenen Masteringstudio im Plattenpresswerk R.A.N.D. MUZIK beginnt der langwierige Prozess und die Musik wird den Vinyl-Spezifikationen entsprechend vorbereitet

Mehr als ein Trend

R.A.N.D. MUZIK hat vor etwa zehn Jahren angefangen in Leipzig Platten zu pressen und Mitgründer Jan Freund findet es der eigenen Erfahrung entsprechend völlig unpassend, von einem Comeback der Schallplatte zu sprechen. Denn Freund zufolge handelt es sich im Grunde um einen Dauerzustand, der aber von der großen Masse nicht als solcher wahrgenommen wird, da es sich trotz alledem nur um ein Nischenprodukt handelt. Vor allem in den letzten 1-2 Jahren, so Freund, sei aufgrund des Aussterbens der Audio-CD die Nachfrage in Bezug auf Vinyl nochmal deutlich gestiegen. Seiner Erfahrung nach setzen viele Künstler und Labels, die im schwierigen Musikmarkt noch etwas verkaufen wollen, auf die Schallplatte. Die gibt’s dann oft im Bundle mit einer Audio-CD und natürlich dem obligatorischen Downloadcode für die MP3-Dateien – quasi ein Tonträger für das Plattenregal zum Anfassen und Sammeln und die digitale Version zum mitnehmen.

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Sind die Stereosignale und der Headroom korrekt angepasst, kommt der empfindliche Lacquer-Rohling ins Spiel

Nach der Faszination graben im Plattenpresswerk

Freund sieht den Mythos der Schallplatte ganz pragmatisch, denn für ihn existierte in der Vergangenheit gewissermaßen gar kein anderer Tonträger. So gab es in den 90ern die Musik aus dem von ihm bevorzugten Techno- und Housebereich schlicht nur auf Vinyl. Tom Haunstein, Leiter Studio und Mastering bei RAND MUZIK, dem Plattenpresswerk in Leipzig, sieht die Anziehungskraft vor allem im Prozedere des Musikhörens verankert. „In erster Linie muss man sich Zeit nehmen, was vielen im digitalisierten Alltag heutzutage wahrscheinlich immer schwerer fällt.“, so Haunstein. Nachdem die Platte aus dem Regal gezogen wurde, packt man die Scheibe aus, begutachtet diese drehend in den Händen und schaut, welche Seite man abspielen möchte. Anschließend muss noch der Tonarm platziert werden. Für ihn ist das ein durch und durch greifbarer und mechanischer Prozess, fernab ab vom schnöden Doppelklick und man hat ein echtes Produkt in der Hand. Das Abspielen einer Schallplatte fordert demnach mehr Sinne und das Auflegen wird zum Ritual, zu dem auch das Bestaunen des Artworks dazugehört: aufklappen, blättern, lauschen. Wenn man genau hinschaut, kann man die Musik auf der Platte in Form der Rillen sogar sehen und die Songs werden noch fassbarer.

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Der Rohling landet auf der Lackschnittmaschine Neumann VMS 70, die mit Fingerspitzengefühl und viel Erfahrung angepassten Einstellungen die Musik in Echtzeit in die Lacquer-Disc schneidet

Vinylsound erschaffen

Mit den Rillen kennt sich Haunstein bestens aus, denn er ist beim Leipziger Plattenpresswerk R.A.N.D. MUZIK für das Vinyl-spezifische Mastering verantwortlich und stellt im hauseigenen Musikstudio sogenannte Master-Folien her, die im weiteren Produktionsprozess als Positiv dienen. Für die bestmögliche Übertragung auf eine Schallplatte sollten Künstler einige Vorgaben beachten und die Musik digital mit mindestens 16 Bit und 44,1 Kilohertz (kHz) anliefern. Zudem sollte der Headroom nicht höher als -12 Dezibel RMS (dB) ausfallen, sonst kann es zu Verzerrungen kommen. Außerdem gilt es zu beachten, dass das Frequenzspektrum der Schallplatte während der Wiedergabe schwankt und klangreiche Stücke sollten im besten Fall am Anfang der Platte positioniert werden. Das liegt daran, dass mit der Annäherung an die Mitte der Platz knapper wird und die musikalischen Informationen nicht mehr so präzise abgetastet werden können.

Damit die Nadel während des Abspielens nicht springt, wird empfohlen, Stereo-Informationen rund 6 dB leiser als Monosignale zu mischen und unterhalb von 200 Hertz sollten sich keine wichtigen Stereosignale mehr befinden. Denn diese werden vertikal in die Platte geschnitten und könnten die Nadel aus dem Takt bringen. Umso lauter und basslastiger die Musik ist, desto weniger Minuten passen auf eine Seite. Bei 33 1/3 Umdrehungen pro Minute (RPM) ist bei -6 dB maximal eine Länge von 24 Minuten denkbar, sonst kommt es vor allem bei tiefen Passagen zu Verzerrungen.

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Das Positiv ist mit einem speziellen Aufsatz schon auf einem herkömmlichen Plattenspieler abspielbar. Die Master-Folie ist aber sehr empfindlich und nicht für die Massenproduktion geeignet

Für DJs im Club ist natürlich die Lautstärke ein wichtiges Argument und RAND MUZIK empfiehlt in diesem Fall bei 0 dB eine Länge von 15 Minuten bei 33 1/3 RPM. Material mit wenigen Bässen, wie etwa Hörspiele oder Akustikmusik, kann bei optimaler Klangqualität aber auch länger gehen. HiFi-Fans sollten übrigens bei Schallplatten mit 45 RPM aufhorchen, denn durch die erhöhte Abspielgeschwindigkeit haben die Musiksignale mehr Platz als bei der 33-1/3-Version und die Nadel kann die Musik präziser reproduzieren. Haunstein zufolge ist das kein riesiger Unterschied, aber gerade hohe Frequenzen zum Ende der Platte hin klingen im direkten Vergleich besser. Im gleichen Zuge räumt er wiederum mit dem Mythos der 180-Gramm-Schallplatte auf, denn da der Schnitt identisch mit dem einer 140-Gramm-Version ist, erwartet den Zuhörer letztlich auch das gleiche Klangerlebnis.

Haunstein bezeichnet die Argumentation des besseren Klangs als reine Kopfsache, da man schlicht mehr in der Hand hält. In Bezug auf bunte Schallplatten muss man jedoch einen Klangverlust hinnehmen und es knistert und rauscht etwas mehr. Der Unterschied zu schwarzem Vinyl fällt aber wirklich nur marginal aus. In puncto wärmerer Sound weist Haunstein auf das im Vergleich zu einer reinen Digitalproduktion vergleichsweise eingeschränkte Frequenzspektrum hin und vielleicht sind es gerade die fehlenden Frequenzen, die das Hören angenehmer und weniger anstrengend gestalten, schätzt der Vinyl-Masteringexperte.

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Im Zuge des sehr zeitintensiven galvanischen Prozesses durchwandert die Lackfolie mehrere Bäder und wird versilbert

Vom Schall zur Schallplatte

Stimmt das Quellmaterial, kommt die Lackschnittmaschine Neumann VMS 70 aus den 70er Jahren ins Spiel. Dieser Klassiker ist im Grunde kaum noch zu bekommen und fordert viel Fachwissen, Erfahrung und Fingerfertigkeit ein. Die Musik wird nun in Echtzeit auf eine Lacquer-Disc geschnitten. Diese kann mit einem passenden Aufsatz bereits mit einem herkömmlichen Plattenspieler abgespielt werden. Das Positiv ist aber extrem empfindlich und nicht für die Massenproduktion geeignet. Im nächsten Schritt beginnt der sogenannte galvanische Prozess, in dem die Lackfolie versilbert wird. Währenddessen durchwandert das Positiv mehrere Bäder und wird immer wieder mit destilliertem Wasser gespült. Der Prozess ist sehr zeitaufwendig und erfordert viel Fingerspitzengefühl. „Auch wenn es nicht so aussieht, hier muss es chirurgisch rein sein, sonst können wir die Matrize gleich in den Müll schmeißen.“, erzählte uns Björn Liebmann, Mitarbeiter in der Galvanik vom Plattenpresswerk. Ohne die akribische Vorbereitung würde sich der Silberfilm langsamer entwickeln und wäre auch nicht so beständig. Dieser Prozess ist zudem nur einmal möglich. Nun hat man den sogenannten Vater geschaffen und dieser kann bereits für die Pressung genutzt werden.

Doch da das Negativ jederzeit kaputt gehen kann, wird die Mutter in Form eines Positives aus Metall hergestellt, von der wiederum Söhne (Negative) angefertigt werden können; dieser Prozess kann beliebig oft wiederholt werden. Von einer Pressvorlage kann man übrigens rund 1000 Schallplatten erstellen. Eine weitere Variante ist das DMM-Verfahren (Direct Metal Mastering). Dabei wird die Aufnahme schon im Studio in Kupfer geschnitten und die Mutter wird quasi direkt erschaffen und man kann sich die galvanischen Prozesse sparen. Durch die verkürzte Produktionskette werden Fehlerquellen minimiert. Doch der DMM-Ansatz kann die musikalischen Informationen nicht so laut und tief wie das Lackschnittverfahren schneiden. Doch gerade das ist beim Auflegen im Club essenziell. Demnach eignet sich das alternative Verfahren eher für LPs. 

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Der Ablauf wiederholt sich, bis man ein Positiv aus Metall hat, von dem man bei etwaigem Verschleiß beliebig viele Negative anfertigen kann. Diese landen dann in der Plattenpresse

Jetzt wird gepresst

Mit den Söhnen in der Hand verlässt Liebmann die Galvanik und sucht Swen Schliewen auf, den Leiter vom Plattenpresswerk bei RAND MUZIK. Der ehemalige Kneipier ist der Herr der sechs Plattenpressen Toolex Alpha Typ AD 1202 und legt die Söhne behutsam in eine Maschine, denn für eine doppelseitige Schallplatte sind selbstverständlich zwei Negative nötig. Die Plattenpressen stammen im Übrigen aus Schweden und wurden in der 80er Jahren hergestellt. Wenn etwas kaputt geht, ist Kreativität gefragt, denn Ersatzteile sind nicht mehr zu bekommen. Schliewen erzählte uns im Plauderton, dass sie schon diverse Male Zeichnungen der Ersatzteile von Ingenieuren anfertigen ließen, die dann als Spezialanfertigung hergestellt wurden. Doch bei unserem Besuch liefen alle Maschinen rund. Damit der Pressvorgang beginnen kann, schuften in der Fertigung diverse Heizkessel, Wärmeaustauscher, Öl-Aggregate und Kühltürme, denn der Prozess findet bei rund 200 Grad Celsius und mit einem Druck von 200 Bar statt.

Nach 22 Sekunden ist der Spuk dann schon vorbei und die fertige Schallplatte inklusive Cover gleitet auf die Auffangspindel hinab. Während der Produktion werden natürlich regelmäßige Qualitätskontrollen durchgeführt. Dafür prüfen Schliewen und seine Kollegen die Optik der Schallplatte auf Kratzer, aber auch ein Hörtest ist obligatorisch: „Was andere am Wochenende im Club hören, läuft bei uns jeden Tag auf der Arbeit.“, erzählte uns Schliewen verschmitzt untermalt von wummernden Kickdrums, trockenen Hi-Hats und knarzenden Bässen.

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Jetzt wird das Vinyl auf rund 200 Grad Celsius erhitzt und die Platte mit 200 Bar gepresst. Von einer Matrize kann man rund 1000 Schallplatten anfertigen

Besondere Kunden

R.A.N.D. MUZIK ist vor allem europaweit in der Szene der elektronischen Musik gefragt und viele DJs lassen hier ihre Platten pressen. Aber auch der vom Team getaufte Bademeister, der wirklich einer ist, besucht das Werk regelmäßig um Punkmusik pressen zu lassen und bringt jedes Jahr zu Weihnachten zwei große Säcke mit Süßigkeiten vorbei. Egal, um was für ein Genre es sich handelt, das R.A.N.D. MUZIK Plattenpresswerk beherrscht sein Handwerk. So meint Schliewen: „Rocker lassen die Platte erst mal fallen, damit sie richtig klingt. Dann gibt’s wieder welche, die lassen einen Triangel zwei Minuten lang ausklingen und es darf nix knistern“. Das eingespielte Team wird beiden Ansprüchen gerecht. Für eine bedruckte 12-Zoll-Schallplatte inklusive Cover und Hülle fallen übrigens Produktionskosten von knapp unter 3 Euro bei einer Auflage von 500 Stück an. Auch kleinere Auflagen sind gegen einen Zuschlag möglich.

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Neben einer ständigen optischen Qualitätskontrolle werden die frisch gepressten Schallplatten auch Probe gehört

Schrittweise zur Faszination

Es ist kaum zu glauben, was alles passiert, bevor man eine Schallplatte in den Händen hält. Angefangen vom speziellen Mastering, über das Schneiden der Master-Folie in Echtzeit, bis hin zum extrem aufwendigen Herstellungsprozess der Matrize und schlussendlich der Weg in die Presse zur Herstellung der eigentlichen Schallplatte. Allein diese Prozesse üben eine immense Faszination aus und die Fertigung ist zu Hause schier unmöglich. Gerade diese „Ferne“ trägt sicher auch einen großen Teil zur Faszination der Schallplatte bei, so Haunstein. Halten wir also fest: Musik von Vinyl zu hören ist ein durch und durch haptischer, mechanischer und emotionaler Vorgang, denn bis sich die Schallplatte in den eigenen vier Wänden auf dem Plattenspieler dreht, vergehen unzählige Stunden und nach den Musikern steckt noch ein ganzes Team im Plattenpresswerk sein Herzblut in die Produktion.

Das weiß man in der Regel als Hörer natürlich nicht, doch irgendwie scheint dieser Aufwand und die Hingabe in irgendeiner Art und Weise mit der Platte zu verschmelzen und am Ende hält man eben noch mehr als ein Stück Musik in den Händen.

Weitere Infos unter: www.randmuzik.de

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