Test: Neat Acoustics Motive SX1 – Evergreen

Evergreen

Neat behauptet, die besten Lautsprecher der Welt zu bauen. Das ist zweifelsohne hoch angesetzt. Ob der SX1 in seiner Preisklasse zu den weltbesten gehört lässt sich objektiv natürlich nicht beurteilen. Aber ob er die kritischen Ohren unserer Redaktion zu überzeugen weiß, erfahren Sie hier!

Wie auch bei vielen anderen Herstellern blickt man bei Neat Acoustics aus dem nordenglischen Teesdale auf eine Firmenbiografie, die eine enge Verwebung von Liebe zur Musik und hohen technischen Anspruch erkennen lässt. Bob Surgeoner versuchte sich in den Achtzigern am großen Traum, in London ein Leben als Vollzeitmusiker zu bestreiten. Um sein eher unstetes Einkommen zu stabilisieren, trat Surgeoner einen Job in einem HiFi-Fachgeschäft an und sammelte dort maßgebliche Erfahrungen im HiFi- und Pro-Audio-Metier. „North Eastern Audio Traders“ sollte dann sein erstes eigenes Geschäft getauft werden, welches er 1989 gründete, nachdem er aus der Metropole zurückzog in die beschauliche Heimat County Durham, weit im Nordosten Englands. Unter dem Namen Neat (kurz für „North Eastern Audio Traders) präsentierte Surgeoner kurz darauf den ersten Lautsprecher aus eigener Herstellung. Gemeinsam mit seinem Partner Paul Ryder betreibt Surgeoner übrigens auch ein Konzerneigenes Aufnahmestudio, in welchem viele realisierte Produktionen helfen, Neat-Lautpsrecher konstant zu verbessern. Das leidenschaftliche Musizieren und der ständige Drang nach Optimierung sollten somit den Grundstein für eine steile Karriere des englischen Unternehmens bereitstellen. Jedoch nicht ohne eine gehörige Portion Selbstbewusstsein beansprucht Neat die Fertigung der besten Lautsprecher der Welt für sich. Zu hundert Prozent konnten wir das in der AUDIO TEST bisher noch nicht attestieren. Zuletzt erhielten die sehr speziell gestalteten und äußerst kompakten Standlautsprecher Iota Alpha 89 Prozent und somit ein „sehr gut“ in Ausgabe AT 05/17. Kollege Thomas Kirsche bescheinigte den Iota Alpha damals ein perfekt gezeichnetes Panorama mit einem bestechenden Zentrum und eine überaus kraftvolle und emanzipierte Wiedergabe. Mit einem Paarpreis von lediglich 1800 Euro bewegen sich die Iota Alpha wie auch unsere aktuellen Testmuster in der preislichen Einstiegsklasse. Zwei Ausführungen des Standlautsprechers SX1 gehen für 2350 Euro über den Ladentisch und markieren wie auch die Iota Alpha Neats Bestreben, dass die „weltbesten“ Lautsprecher auch erschwinglich bleiben. Noch nicht allzu lange ist es her, da übernahm Bellevue Audio den deutschlandweiten Vertrieb von Neat Acoustics. Dort findet man im Sortiment auch den britischen Hersteller Cyrus, welcher seine Ansiedelung im High-End-Bereich auch preislich bemerkbar werden lässt. Aber zurück zu Neat.

Ein Comeback

Ein Marktneuling ist der SX1 von Neat keinesfalls. Tatsächlich kam der „Urvater“ der Serie bereits 2005 ins Sortiment der Fachhändler. Die aktuelle SX-Serie erblickte vor bereits vier Jahren das Licht der Welt. Nun werden Sie sich vielleicht fragen, weshalb wir dann eine journalistische Relevanz im Test eines nicht mehr taufrischen Produkts empfinden. Ein durchaus berechtigter Einwand. Lässt man jedoch hin und wieder einen Lautsprecher zu Wort kommen, welcher jetzt nicht erst seit gestern auf dem Markt ist, bemerkt man schnell, dass bei all dem rasenden technologischen Fortschritt die Schallwandlerkunde nicht einmal im Semester mit einer durchbrechenden Innovation aufwarten muss. Sicherlich kann man dieser Aussage intelligente Lautsprechersysteme mit Alexa und Co. entgegenhalten. Jedoch sind solche Speaker mehr Personal Assistent als echte audiophile Spielpartner. Manch einer wird einen Lautsprecher mit mehr als zehn Jahren Lebenserfahrung im Hörraum stehen haben und noch immer glücklich darauf seine Lieblingstitel genießen können. In Sachen wie Connectivity und Einbindung ins Smart Home ist das beispielsweise bei Verstärkern weniger denkbar. Wir möchten Ihnen mit diesem Bericht neben dem Neat SX1 schlichtweg vermitteln, dass es sich durchaus einmal lohnen kann, sich umzusehen, was der Markt bereits zu bieten hat, anstatt rastlos dem neuesten Schrei hinterher zu hasten. Aber kommen wir nun endlich zum eigentlichen Gegenstand dieses Artikels: dem SX1 Standlautsprecher von Neat.

Das Anschlussterminal des SX1 ist sehr solide verarbeitet – Bi-Wiring ist hier jedoch nicht möglich

Steht kompakt

Hat man einmal die Bekanntschaft mit Lautsprechern aus dem Hause Neat machen dürfen, wird man sich schnell in einer alten Weisheit bestätigt finden: Es kommt nicht nur auf die Größe an. (Erinnern wir noch einmal kurz den knapp vierzig Zentimeter (cm) großen und sieben Kilogramm (kg) leichten Standlautsprecher Iota Alpha.) Mit einer Höhe von 92,2 Zentimetern (cm) ist auch der SX1 nicht gerade hünenhaft. Der fünfzehn Kilogramm leichte Standlautsprecher ist somit schnell entpackt und aufgestellt – auch allein dies ohne Probleme zu bewerkstelligen. Wir positionieren zwei Speaker in einem weiten Stereodreieck und verbinden sie am rückseitigen Single-Wire-Terminal via Lautsprecherkabel mit unserem Referenzverstärker von Rotel und dem ebenfalls britischen Netzwerkplayer CXN Silver von Cambridge Audio. Wie auch andere Lautsprecher von Neat ist der SX1 etwas nach hinten geneigt. Durch diese Ausrichtung soll die geringe Größe des Klanggebers ausgeglichen werden – die Treiber strahlen nach oben in den Hörraum hinein. Der SX1 arbeitet als Zweieinhalb-Wege-Lautsprecher mit Bassreflex. Die beiden 13,4 cm messenden Tieftöner teilen sich also ein Frequenzband in den Bässen, wobei der untere in einem abgegrenzten Kabinett sitzt, welches er sich mit der Bassreflexöffnung teilt. Spielt der obere Tieftöner noch in die Mitten hinein, so zeigt sich der untere nur bis 80 Hertz (Hz) verantwortlich und nimmt sich von dort an aufwärts mit einer 6-dB-Weiche aus dem Rennen. Der erwähnte Bassreflexkanal versteckt sich übrigens an der Unterseite des Lautsprechers, wir haben es also mit einem Downfire-System zu tun. Am anderen Ende des Gehäuses übernimmt der Hochtöner ab 3,8 kHz den Staffelstab. Auch hier verabschiedet sich der Tieftöner mit etwas flacheren sechs Dezibel pro Oktave, wobei der Hochpassfilter des Tweeters eine wesentlich größere Flankensteilheit von zwölf Dezibel pro Oktave an den Tag legt. Dies hat den einfachen Grund, dass der Hochtöner somit vor zu großem Hub durch hohe Mitten geschützt wird. Im Hochtöner finden wir übrigens einen wesentlichen Unterschied zu älteren Lautsprecher-Modellen aus dem Hause Neat. Und zwar arbeitet der SXT (wahrscheinlich kurz für SX-Tweeter) mit einer so genannten Invers-Kalotte. Diese ist im Gegensatz zu den meisten Kalotten Konkav, also nach innen gewölbt. Für gewöhnlich zeichnet sich diese Konstruktion durch ein sehr räumliches Abstrahlverhalten aus. Ob das auch für die Performance des SX1 gilt, wollen wir nun im Praxistest herausfinden.

Der konkave Hochtöner des SX1 gefällt ob seiner sehr räumlichen Streuung

Kleiner Speaker, großer Klang?

„Wicked Game“ von Chris Isaak ist von Haus aus eine räumlich sehr breit gefächerte Produktion. Der 1989 auf Heart Shaped World erschienene Titel ist sehr zurückhaltend instrumentiert, weshalb jede Stimme sehr viel Raum zu Entfaltung bekommt. Und genau diesen Spielraum wissen die beiden SX1 wunderbar zur Verfügung zu stellen. Die Gitarre perlt sehr farbenfroh formuliert aus den Schallwandlern und nimmt im Zusammenspiel mit Schlagwerk und Bass den gesamten Raum in Anspruch. Isaaks Tenor wird dabei genau so voller Inbrunst dargeboten wie seine unverwechselbare Kopfstimme. Obwohl das Lied wie gesagt eher durch Zurückhaltung brilliert, ist es durch die beiden Testmuster überaus vereinnahmend. Der Klang legt sich wie eine akustischer Nebel in den gesamten Hörraum unserer Redaktion. Hervorzuheben ist bei diesem Lautsprecherpaar wieder das ausgezeichnete Stereozentrum. Der Gesang ist nicht nur in der Breite sondern auch in der Tiefe sehr schön positioniert – perfekt zentriert ein paar Fuß vor der Stereoachse. Man hört eindeutig heraus, dass Surgeoner und Ryder ihre Produkte im Studiobetrieb auf Verbesserungen hin untersuchen. Man möchte meinen, die Aufnahme des wohl bekanntesten Titels Chris Isaaks wird eins zu eins so in den Hörraum übersetzt, wie 1989 von Isaak und Produzenten Erik Jacobsen vorgesehen. Jacobsen produzierte übrigens auch Tim Hardin und The Lovin‘ Spoonful – aber dies nur am Rande. Bleiben wir bei „Wicked Game“ und wechseln nur Generation und Genre. Die Interpretation der finnischen Band HIM ist etwa neun Jahre jünger als das Original und bei weitem nicht so luftig arrangiert. Dennoch gelingt es dem SX1, die schweren verzerrten Gitarren und die äußerst „punchy“ produzierten Drums sehr emanzipiert und klar differenzierbar zu transportieren. Auch hier legt sich das Ensemble sehr detailreich um den Sweet Spot und gibt uns rein klanglich keinen Grund für Beanstandungen. Objektiv klingt es ausgezeichnet. Subjektiv gefällt uns die Version von Chris Isaak jedoch um einiges besser. Der Abwechslung wegen soll jedoch noch ein Werk aus dem Reich der Klassik Erwähnung finden. Musikwissenschaftlich sollte man Poulenc natürlich keinesfalls als Klassiker bezeichnen, jedoch ist sein Stück „Les Chemins de l’amour“ für Klavier und Cello, gespielt von Edgar Moreau und Piere-Yves Hodique wohl deutlich weniger „U-Musik“ als Isaak und Him. Doch können die beiden SX1 genau so gut Impressionismus zum Besten geben, wie sie rocken können? Absolut. Sehr warm und reich an Obertönen erklingen sowohl Piano, als auch Cello. Die Transienten sind voller fein gezeichneter Nuancen und lassen das Duett sehr organisch wirken, fast schon so, als wären sie anwesend. Dabei überzeugen unsere Testmuster auch in Sachen Dynamik. Waren die beiden Interpretationen von „Wicked Game“ Schalldruck-technisch eher konstant, so steckt in Poulencs spielerisch verträumten Kammermusikstück sehr sehr viel dynamische Feinfühligkeit, welche unser Stereopaar sehr schön zu übersetzen weiß. Bravissimo!

Fazit
Klein, fast schmächtig, leicht und zudem preiswert – dies sind meist keine Attribute von Lautsprechern, welche uns von vorne bis hinten zu begeistern wissen. Beim SX1 von Neat ist das anders! Klanglich überaus farbenfroh und detailreich und räumlich exzellent – es macht Freude, diesem Lautsprecher bei der Arbeit zu lauschen. Gerade wer im Einstiegsbereich ein Multitalent sucht, sollte hier unbedingt einmal reinhören!
Wiedergabequalität
87
Ausstattung/Verarbeitung
82
Benutzerfreundlichkeit
90
Preis/Leistungs-Verhältnis
80
Leserwertung73 Bewertungen
34
Vorteile
Räumlichkeit
Detailreichtum
Preis
Nachteile
87

Bildquellen:

  • Neat SX1: Bild: Auerbach Verlag
  • Neat SX1 Hochtöner: Bild: Auerbach Verlag
  • Neat Acoustics: Bild: Auerbach Verlag