Dr. Sound: Verzerrungen einfach erklärt

Verzerrungen in Maßen sind gut!? Was sind Verzerrungen, welche Bedeutung haben sie, wie schätzt man sie richtig ein oder interpretiert eine Messgrafik? Das sind die Fragen, mit denen wir uns in dieser Ausgabe für Sie beschäftigen wollen.

Egal ob ein Musiksignal seinen Weg durch einen CD-Player oder einen Verstärker nimmt bzw. durch einen Lautsprecher wiedergegeben wird – das Eingangssignal sollte mit dem Ausgangssignal identisch sein. Ist dies nicht so, dann erlitt das Signal eine Verzerrung. Eine reine Änderung der Amplitude oder eine zeitliche Verzögerung der Wellenform ist noch keine Verzerrung.

Skalen richtig lesen!

Zur Beurteilung der von uns veröffentlichten Messgrafiken ist für ein richtiges Verständnis die Betrachtung der angetragenen Skalenwerte und Einheiten unumgänglich. Denn die abgebildete Kurve kann von Gerät zu Gerät unterschiedlich hoch im Bild liegen und trotzdem ein anderes messtechnisches Zeugnis ausstellen, als bei einem anderen Gerät. Die numerische Bewertung erfolgt im Bereich 20 Hz bis 20 kHz und wird in der Tabelle angegeben. Die allgemeine Erfassung erfolgt aber breitbandig bis hinauf zu 80 kHz und wird in der Messgrafik abgebildet. Kurventeile die über 20 kHz hinaus im Betrag ansteigen, bewirken bei der automatischen Skalierung der Messgrafik eine horizontale Verschiebung
der Kurve.

Wie und was sind Verzerrungen?

Wenn also ein Musiksignal ein Gerät der Unterhaltungselektronik durchläuft, dann entstehen bedingt durch das Schaltungslayout oder durch physikalische Gesetzmäßigkeiten, die sehr stark an Lautsprechern wirken Veränderungen. Das Ziel aller Entwickler ist es, diese so gering wie möglich zu halten. Doch treten immer mehr oder weniger stark Veränderungen im zeitlichen Verlauf des Wiedergabesignals auf, die sich im Frequenz- und/ oder im Amplitudenverlauf widerspiegeln. Es werden zwei Hauptarten von Verzerrungen unterschieden, die hier in einem Überblick ohne den Anspruch auf nachrichtentechnische Detailsachlichkeit aufgeführt werden. Eine besondere Beachtung, gilt den klanglichen Auswirkungen von linearen und nichtlinearen Verzerrungen.

Lineare Verzerrungen

Lineare Verzerrungen entstehen durch eine unterschiedliche Verstärkung oder Dämpfung eines Frequenzbereiches und beeinflussen die lineare, also unveränderte Übertragung. Diese Beeinträchtigung kann auf dem Wege der Elektronik erfolgen oder bei der Übertragung über den Luftschall unter dem Einfluss der Raumakustik. In allen Fällen führt eine Messung des Frequenzganges zur Aufdeckung dieser Veränderungen, wenn ein System seinen linearen Arbeitsbereich verlässt. Hörbare Auswirkungen dieses Effektes sind dann zum Beispiel ein dumpferer Klang, wenn die hohen Frequenzen eine stärkere Dämpfung erfahren. Ein hellerer Klang entsteht durch eine Verstärkung hoher Frequenzen. Änderungen im Präsenzbereich (Mitten) können je nach Frequenzbereich bzw. musikalischer Lage auf der Klaviatur oder der menschlichen Stimme zu Verfärbungen führen, die sich entweder als bedeckter Klang oder in unangenehmer Forcierung einzelner Noten hörbar machen. Veränderungen in den Tiefmitten und Bässen wirken sich je nach Verstärkung oder Absenkung positiv oder negativ auf die Durchsichtigkeit des Klanggeschehens aus. Interessanterweise sind geringfügige Abweichungen von plus minus 1 bis 3 dB (Dezibel) für ungeübte Ohren ohne einen direkten Vergleich zur linearen Übertragung schwer zu beurteilen. Am einfachsten ist immer eine Beurteilung mit Sprache, denn im Allgemeinen sind hier die Hörerfahrungen jedes Menschen am größten. Am einfachsten können Sie zu Hause lineare Verzerrungen mit der Klangregelung (Bass/HöhenIhrer Hi-Fi-Anlage nachvollziehen und, wenn nötig, in gewissen Grenzen ausgleichen.

Nichtlineare Verzerrungen

Die nichtlinearen Verzerrungen sind die komplexesten Beeinträchtigungen, die in einer Übertragungskette vorkommen können. Es gibt weitere Begrifflichkeiten wie Klirrfaktor oder Total Harmonic Distortion (THD), die im gleichen Zusammenhang gebraucht werden. Im Unterschied zu den linearen Verzerrungen entstehen bei den nichtlinearen Verzerrungen Veränderungen an der Wellenform eines Signals. Die klanglichen Auswirkungen können nicht eindeutig beschrieben werden. Verursacht werden diese Veränderungen durch pegelabhängige Verstärkung oder Dämpfungen des Signals in Geräten der Unterhaltungselektronik. In diesem Zusammenhang kennt der Techniker lineare, quadratische und kubische Kennlinien, die elektronische Schaltungen aufweisen und dem eigentlichen Musiksignal aufmoduliert werden. Die Ursache für nichtlineare Verzerrungen liegt zusammenfassend formuliert darin, dass der Bereich der linearen Arbeitsweise überfordert und verlassen wird, Bauteile-Gruppen nicht optimal arbeiten oder durch äußere Einflüsse Wechselwirkungen auftreten. Daraus resultiert: Das Ausgangssignal stimmt in der Wellenform nicht mehr absolut mit dem Eingangssignal überein. Pegelunterschiede und gesamte Laufzeitunterschiede sind damit nicht gemeint. Nichtlineare Verzerrungen können am Lautsprecher genauso zu wie an einen klassischen Verstärker auftreten. Aber auch andere Geräte können an verschiedenen Stellen dazu neigen, wie z. B. D/A-Wandler in jedem digital arbeitenden Gerät. Selbst ältere Geräte hatten und haben einen gewissen Anteil an Verzerrungen inne, wie Phonoabtastsysteme- und Vorverstärker oder analoge Magnetbandgeräte. Wichtig ist zu wissen, dass lineare und nichtlineare Verzerrungen häufig gemeinsam
auftreten können.

Wenn eine idealisierte Sinusschwingung (stellvertretend für Musik) mit der Frequenz f eine Schaltung oder Lautsprecher durchläuft, entstehen ganzzahlige Vielfache der Ausgangsfrequenz 2f, 3f, 4f, 5f als harmonische neue Anteile, sogenannte Obertöne aus der verzerrten Sinusschwingung f1. Rein quadratische Kennlinien erzeugen nur geradzahlige Anteile 2f, 4f, 6f etc. (sogenannte unsymmetrische nichtlineare Verzerrungen). Im Gegenzug erzeugen die kubischen Kennlinien nur ungeradzahlige Anteile 3f, 5f, 7f etc. (symmetrische nichtlineare Verzerrungen). Die Stärke dieser harmonischen bzw. Schwingungsanteile nimmt mit steigender Ordnungszahl und auch Frequenz ab. Die Begriffe symmetrisch und unsymmetrisch beziehen sich auf die Veränderung der beiden Halbwellen einer Schwingung. An dieser Stelle sollen die mathematisch-physikalischen Termini nicht weiter vertieft werden. Die abgebildete Grafik soll die Zusammenhänge veranschaulichen.

Die Arten der nichtlinearen Verzerrungen

Wenn eine idealisierte Sinusschwingung (stellvertretend für Musik) mit der Frequenz f eine Schaltung oder Lautsprecher durchläuft, entstehen ganzzahlige Vielfache der Ausgangsfrequenz 2f, 3f, 4f, 5f als harmonische neue Anteile, sogenannte Obertöne aus der verzerrten Sinusschwingung f1. Rein quadratische Kennlinien erzeugen nur geradzahlige Anteile 2f, 4f, 6f etc. (sogenannte unsymmetrische nichtlineare Verzerrungen). Im Gegenzug erzeugen die kubischen Kennlinien nur ungeradzahlige Anteile 3f, 5f, 7f etc. (symmetrische nichtlineare Verzerrungen). Die Stärke dieser harmonischen bzw. Schwingungsanteile nimmt mit steigender Ordnungszahl und auch Frequenz ab. Die Begriffe symmetrisch und unsymmetrisch beziehen sich auf die Veränderung der beiden Halbwellen einer Schwingung. An dieser Stelle sollen die mathematisch-physikalischen Termini nicht weiter vertieft werden. Die abgebildete Grafik soll die Zusammenhänge veranschaulichen.

Ein Beispiel

Die linke Abbildung (Bild 5) zeigt ein 1kHz Sinussignal mit einem THD-Wert von 0,005 %. In der mittleren Abbildung (Bild 6) ist das gleiche Sinussignal bis auf einen THD-Wert von 3,5% „übersteuert“. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Spitzen der Wellenberge abgeflacht sind. Der klangliche Eindruck ist von einer hohen Aggressivität geprägt. Dies ist ein Beispiel für eine symmetrische, einer kubischen Kennlinie folgenden nichtlinearen Verzerrung. Im rechten Bild (Bild 7) wird das resultierende Verzerrungsproduktverhältnis mit deutlich erhöhten Balken im Diagramm gezeigt. Zu erkennen ist, dass die ungeradzahligen harmonischen Anteile dominieren.

Gemessen

In der abgebildeten Messgrafik ist das Verhältnis der einzelnen Verzerrungsprodukte zu erkennen. Sie entstehen bei der Anregung des Übertragungssystems, mit einer Grundfrequenz von f=1 kHz. Darauf aufbauend entstehen in der Gesamtheit der Elektronik Verzerrungen im geradzahligen Verhältnis auch harmonische Verzerrungen genannt (2f, 4f, 6f, 8f, 10f) und solche mit ungeradzahligem Verhältnis ( 3f, 5f, 7f, 9f ). Ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis zwischen geradzahligen wie ungeradzahligen harmonischen Verzerrungen ist klanglich sehr erstrebenswert. Ein jeweiliges Übergewicht beeinflusst den Klangcharakter nachhaltig.

Klangliche Auswirkungen

Bevor über die Wahrnehmbarkeit von nichtlinearen Verzerrungen gesprochen wird, sind einige physiologische Grundlagen von Bedeutung. Die Empfindlichkeit ist subjektiv und je nach Vorbildung unterschiedlich ausgeprägt. Nicht unbedeutend sind die vom Gehör selbst „produzierten“ Verzerrungen, die mit steigender Abhörlautstärke zunehmen und schon bei mittleren Lautstärken mitwirken. Diese Gehörverzerrungen maskieren zum Teil die Verzerrungen, die in der Wiedergabekette entstehen können. Im Allgemeinen werden nichtlineare Verzerrungen erst dann zunehmend wahrgenommen, wenn sie frequenzabhängig deutlich über der Hörschwelle stattfinden. An dieser Stelle wirken dem durch das unverzerrte Signal noch Verdeckungseffekte entgegen, sodass erst bei größeren Lautstärken die Wahrnehmbarkeit steigt.

Natürlich ist bei einem reinen Sinuston 1 % THD hörbar, in komplexen musikalischen Arrangements können mehrere Prozent unerkannt bleiben. Auch hier ist die eigene Obertonstruktur der Musik- und Instrumente für die Wahrnehmung entscheidend. Noch viel schwieriger wird es, wenn sich mehrere solcher Oberwellen verschiedener Instrumente miteinander mischen. Für eine bessere, der Wahrnehmung ähnlicheren messtechnischen Beurteilung eignen sich hier Intermodulation- und Differenztonfaktor (IMD, DFD) – Messungen an den Geräten. Ein Wort an den Musikfreund: Es sind zuweilen die kleinen Fehler, die das Interesse wecken. So werden häufig elektronische Komponenten für ihre hohe Musikalität geschätzt, die einen deutlichen Anteil (meist unter 1 % THD) geradzahliger Oberwellen hinzufügen. Es wird ihnen meist ein glatter, sanghafter oder die Plastizität fördernder Klangcharacter zugeschrieben, wobei bei ungeradzahligen harmonischen Verzerrungen eine Verstärkung von geräuschhaften Klangeigenschaften zu beobachten ist.

Dies wird dann von manchem Musikfreund als Verstärkung des Ortungsreizes empfunden wird. In der Tonproduktion sind diese Hilfsmittel bekannt. Besonders innovative Entwickler integrieren Schaltungen in der Heimelektronik, die einen leichten Anteil von Oberwellen hinzufügen. Wichtig ist dabei, dass nur Oberwellenanteile mit niedriger Ordnungszahl (2f, 3f) zugemischt werden, denn höhere Anteile können leicht zu einem scharf klingenden Effekt führen. Aber wie überall ist die Dosis entscheidend.

Messverfahren

Für die Messung ist wichtig festzulegen, bei welchem Eingangspegel bzw. welchem Ausgangspegel die Bewertung erfolgt, weil die nichtlinearen Verzerrungen entscheidend davon abhängen.

Die nichtlinearen Verzerrungen werden am häufigsten als Total Harmonic Distortion plus Noise (THD+N) erfasst. Hier wird das Verhältnis der Effektivwerte der neuen harmonischen Anteile (ohne der Stimulationsfrequenz) zum Eingangssignal erfasst und in Prozent angegeben. Dabei wird nur ein definierter Frequenzbereich analysiert. Das N für Noise gibt außerdem an, dass aus praktischen Gründen gleichzeitig alle weiteren Störungen wie Brummen und Rauschen ebenfalls erfasst werden. Mit dem Zusatz P wird angegeben, mit welchem effektiven Pegel die erfassten Werte gemessen wurden. Weitere Messverfahren für Verzerrungen sind der Intermodulation- und Differenztonfaktor (IMD, DFD), da mit Ihnen besonders störende Summ- und Differenztöne eines Frequenzgemisches, so wie es grundsätzlich auch in der Musik vorkommt, ermittelt werden. Bei diesen Verfahren werden dem Prüfling mindestens zwei unterschiedliche Frequenzen zugeführt, um dann mit unterschiedlichen Bewertungsverfahren, die durch die Elektronik erzeugten Summen-und Differenztöne auszuwerten. Dies geschieht zum Teil mit bis zu fünf Modulationsprodukten, die in die Auswertung kommen.

Messtechnik ist die Reduktion der Wissenschaft auf die Evaluierung von Qualitätsmerkmalen, sie sagt selten etwas über ein emotionales Erlebnis aus. Musik ist etwas Lebendiges, Emotionen und schöpferische Kraft, die der Erbauung des Menschen dienen. Trauen Sie Ihren Ohren und nicht blind den Messdaten.

 

Bildquellen:

  • bild_1+2: Bild: Auerbach Verlag
  • bild_3+4: Bild: Auerbach Verlag
  • nichtlinearen_Verzerrungen: Bild: Auerbach Verlag
  • bild_5-7: Bild: Auerbach Verlag
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  • bild_10+11: Bild: Auerbach Verlag
  • einstieg: Bild: Auerbach Verlag